Der Verhandlungssaal

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Am Morgen des 9. November 1923 war der Möchtegern-Putsch der Nazis – so muss man ihn wohl bezeichnen – kläglich im Feuer der bayerischen Polizei am Odeonsplatz in München zusammengebrochen. Hitler hatte sich beim Sturz auf das Pflaster den linken Arm ausgerenkt und wurde von Dr. Walter Schulze, Chef des Münchner SA-Sanitätskorps, zum Max-Joseph Platz geleitet, wo sie in Hitlers altem Selve 6/20 Fersengeld in Richtung Süden gaben.

Selve 6/20
Selve 6/20

Nach einigem Herumirren fuhr der Wagen schließlich nach Uffing am Staffelsee, zum Haus des Auslandspressechefs der NSDAP, Ernst “Putzi” Hanfstaengl. Der Hausherr war nicht Zuhause – er war nicht am Odeonsplatz, sondern mit einem Sonderauftrag in Neuhausen unterwegs gewesen und wurde von Heinrich Hoffmann, dem Parteifotografen aufgesammelt und in dessen Wohnung gebracht, wovon aus er seine Flucht nach Österreich plante.

In Uffing wurden die Flüchtlinge von Putzis Frau Helene Hanfstaengl versorgt, doch die Idylle war nicht von langer Dauer – schon am Sonntag, dem 11. November nachmittags, erschien die Kriminalpolizei und bemächtigte sich Hitlers. Er wurde zuerst nach Weilheim gebracht, wo ein Untersuchungsrichter Überstellung in die Festungs- und Schutzhaftabteilung der Staatlichen Gefangenenanstalt Landsberg am Lech verfügte, die am Montag gegen 11 Uhr erfolgte.

Der Prozess gegen Ludendorff, Hitler und die anderen Angeklagten begann am Morgen des 26. Februars 1924 in der Münchner Zentralen Infanterieschule in der Blutenburgstraße. Insgesamt wurden 368 Zeugen gehört. Jede Menge Korrespondenten aus aller Welt und Hunderte von Zuschauern drängten sich im Saal. Zwei Bataillone der Landespolizei riegelten mit Stacheldraht und Spanischen Reitern die Mars- und Blutenburgstraße ab.

Während der Verhandlungstage im – gegen die Weimarer Verfassung verstoßenden und daher eigentlich illegalen – Bayerischen Volksgericht (zuständig wäre das Reichsgericht in Leipzig gewesen), war er im Gefängnis Stadelheim in München untergebracht.

Der Prozess gegen Hitler u.a. dauerte vom 26. Februar bis 1. April 1924.

Die Angeklagten: Heinz Pernet (Ludendorffs Stiefsohn), Dr. Weber, Wilhelm Frick (Leiter der Kripo München), Herrmann Kriebel, General Ludendorff, Hitler, Wilhelm Brückner (Führer der SA München), Ernst Röhm, und Robert Wagner (Aide-de-Camp Ludendorffs)

Auf der Webseite des österreichischen Historikers Kurt Bauer sind die Aussagen Hitlers vor dem Gericht nachzulesen (PDF-Link).

Hitler (x) beim Prozess
Die Urteilsverkündung, Zeichnung von Otto D. Franz
Ludendorff (freigesprochen) verlässt das Gericht

Der Prozess hatte von Anfang an den Charakter eines Kuhhandels. Schon gleich zu Beginn erklärten die drei Laienrichter Leonhard Beck (* 6. Mai 1867 in Schwandorn), Philipp Hermann (* 21. Oktober 1865 in Nürnberg; † 10. Januar 1930 in München) und Christian Zimmermann dem Gericht, einer eventuellen Verurteilung nur unter der Voraussetzung zustimmen zu wollen, dass die Strafen zur Bewährung ausgesetzt würden. Um das sofortige Platzen des Prozesses und eine Überweisung an ein ordentliches Gericht zu verhindern, musste dies akzeptiert werden.

[Siehe auch Artikel aus dem Spiegel zur Rechtsbeugung des Gerichts]

Zeitung – Sonderausgabe

Das Urteil im Wortlaut auf LEMO

Schlussendlich wurde Ludendorff freigesprochen und Hitler, Weber, Kriebel und Pöhner zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft nebst Geldbuße von 200 Goldmark verurteilt. Da die Untersuchungshaft auf die Strafzeit angerechnet wurde, kamen Frick, Röhm, Wagner und Brückner sofort auf Bewährung frei.

Der Begriff “Festungshaft” bedeutete, laut dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871, Freiheitsentzug ohne Arbeitszwang und war eine Sonderbestimmung für Kapitalverbrechen anlässlich von Duellen oder politischen Verbrechen, bei denen “ehrenhafte Gesinnung” unterstellt wurde – im Gegensatz zu Habgier, Eifersucht oder anderen “niederen” Motiven.

Einige Tage nach Ablauf des Prozesses, wurden Hitler, Herrmann Kriebel und Dr. Friedrich Weber nach Landsberg zurückgebracht. Einziger anderer Insasse in Festungshaft war der Mörder Kurt Eisners, Anton Graf von Arco auf Valley, der jedoch am 13. April 1924 auf Bewährung entlassen und 1927 begnadigt wurde. Er war schon vorher aus seiner alten Zelle # 7 ausquartiert worden, welche Hitler übernahm.

Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech
Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech
Landsberg - Zelle # 7, Bild 1
Landsberg – Zelle # 7, Bild 1

Hitler, Dr. Weber, Kriebel und die im Mai zugeführten Emil Maurice und Rudolf Heß wurden auf die fünf Stuben im Obergeschoss verteilt, wo auch ein Gemeinschaftsraum zur Verfügung stand. Die Männer trafen sich dort fast jeden Tag zu geselligem Beisammensein.

Ein durchaus interessanter Gesichtspunkt wurde der Öffentlichkeit erst durch einen Artikel von Sven Felix Kellerhoff, Leitendem Redakteur des Ressorts Geschichte der “Welt” vom 19.12.2015 bekannt. Festungshäftlinge hatten das Privileg der Selbstversorgung (auf eigene Kosten) und so durfte der Justizwachtmeister Franz Hemmrich, der die Bestelllisten führte, im zweiten Halbjahr 1924 vermerken:

Hitler, Maurice, Kriebel, Heß und Dr. Weber in Landsberg (v.l.n.r.)

„Beachtlich war der Verbrauch an Butter (34 Kilogramm), Zucker (45 Kilogramm), Eiern (515 Stück), Kartoffeln (50 Kilogramm) und Zitronen (88 Stück). Ansonsten bezog Hitler noch Nudeln (schwarze und weiße Fadennudeln, Spaghetti, Makkaroni), Erbsen (ein Kilogramm), Zwiebeln (2,5 Kilogramm), Reis (3,5 Kilogramm), Salatöl, Essigessenz, Suppenwürfel, Bohnenkaffee (5 Pfund), Kondensmilch (eine Dose), Vanille und Zimt (50 Gramm).“

Andere Einkäufe jedoch erschüttern das Bild des Antialkoholikers, das Hitler für sich zeitlebens in der Öffentlichkeit in Anspruch nahm:

Interessanter ist allerdings, was Hitler noch einkaufen ließ: Bier. Im Juli sind 62 Flaschen, im August 47, im September 60 und im Oktober wieder 47 Flaschen vermerkt. Für November gibt es kaum Einträge, im Dezember sind bis eine Woche vor Weihnachten 34 Flaschen vermerkt. Es handelte sich um Halbliterflaschen; Hitler trank also durchschnittlich knapp einen Liter am Tag. Dass das Bier tatsächlich für ihn bestimmt war, lässt sich daraus schließen, dass Hemmrich eigens vermerkte, wenn gelegentlich eine der dann drei täglich bezogenen Flaschen für Hitlers Freund Emil Maurice, später SS-Mitglied Nr. 2, gedacht war.

Es lässt also einiges darauf schließen, dass eine quietschfidele Männerbrigade die Tage ihrer Haft zu verbringen wusste. Zu Hitlers schriftstellerischer Arbeit an seinem Buch “Viereinhalb Jahre [des Kampfes] gegen Lüge, Dummheit und Feigheit” – dessen sperrigen Titel er wohl auf Anraten eines Verlegers später in “Mein Kampf” umbenannte, wäre zu sagen, dass die Parteilegende ihn später, im Stile eines genialen Rhetors, als den Text Rudolf Heß in die Feder diktierend schilderte, doch neuere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass er den Text wohl selbst auf der alten Reiseschreibmaschine tippte, die man im Zellenbild # 2 deutlich erkennen kann.

Zelle # 7, Bild 2

Geradezu außerordentlich war jedoch die Behandlung, die man Hitler und seinen Mitgefangenen in Bezug auf Besuche zukommen ließ. Der Direktor, Oberregierungsrat Otto Leybold, bezeichnete die Männer als “nationalhochgesinnte Männer” und ließ ihnen aus diesem Grund einen allergnädigsten Strafvollzug zuteilwerden, indem er weit über das vorgeschriebene Maß hinaus die Zulassung von Besuchern genehmigte. Bis zu seiner Entlassung erhielt Hitler nicht weniger als 330 Besuche. Das Historische Lexikon Bayern führt dazu aus:

“Gemessen an der Frequenz und der gesamten Sprechdauer suchten neben Rechtsanwalt Lorenz Roder das Berliner Klavierfabrikantenehepaar Edwin (1859-1934) und Helene Bechstein, Erich Ludendorff, Max Amann (1891-1957) und Hermine Hoffmann den Putschisten am häufigsten auf.

Kriebel und Dr. Weber hatten seit Anfang April die Genehmigung, “Besuche der ihnen am nächsten stehenden Personen ohne Überwachung zu empfangen”, was sich auf Angehörige ihrer weitläufigen Familien erstreckte. Aus dem familiären Umfeld wurde Hitler nur von seiner Halbschwester Angela Franziska Raubal und deren noch minderjährigen Kindern Leo (1906-1977) aus Wien und Angela Maria, genannt “Geli” (1908-1931) aus Linz besucht. Sie haben ihren Halbbruder bzw. Onkel am 17. Juni bzw. am 14. Juli 1924 für die Dauer von knapp drei bzw. vier Stunden ohne Aufsicht sprechen dürfen. Darüber hinaus hatte Leybold genehmigt, dass Hitler vertrauliche Gespräche mit politischen Gesinnungsfreunden regelmäßig ohne Anwesenheit eines Wachtmeisters führen durfte.”

Man geht wohl nicht fehl, wenn man die Haftbedingungen eher als Männerpension denn als Gefängnis charakterisiert. Die Insassen rechneten fest mit ihrer vom Gericht in Aussicht gestellten Entlassung auf Bewährung nach Verbüßung der Mindesthaftzeit von neun Monaten, also unter Anrechnung der Untersuchungshaft ungefähr zum 1. Oktober 1924. Zu ihrem Pech fand die Staatsanwaltschaft München heraus, dass die Häftlinge einen schwungvollen Schmuggel ihrer Korrespondenz betrieben hatten, was die Entlassung erst einmal ins Wasser fallen ließ. Leybold wurde daraufhin um eine Stellungnahme gebeten, die ganz erstaunlich positiv ausfiel – hier PDF des Dokumentshier Abschrift im Bayerischen Staatsarchiv.

Nach dieser Lobeshymne – die tief in die Gedanken des braven Herrn Leybold blicken lässt – war die Entlassung auf Bewährung zum 20. Dezember 1924 nur noch Formsache.

Hitler am Tag der Haftentlassung vor dem Landsberger Stadttor
Hitler am Tag der Haftentlassung vor dem Landsberger Stadttor

Die relevanten Dokumente zu Hitlers Haft galten jahrelang als verschollen, bis sie im Juli 2010 anlässlich einer Versteigerung offeriert wurden; was der Staat Bayern jedoch durch Beschlagnahme unterband.

Als Nummer 10 wird Hitler in Landsberg geführt, gesund, mittelkräftig, 175 cm groß, 77 Kilo schwer.
Hitler wurde in Landsberg als Häftling # 10 geführt, gesund, mittelkräftig, 175 cm groß, 77 Kilo schwer.
Bei der Versteigerung angebotene Dokumente
Bei der Versteigerung angebotene Dokumente, darunter eine Besuchskarte für Ludendorff

Wie kaum anders zu erwarten, machten die Nazis nach 1933 Zelle und Gefängnis mit viel Trara und millionenfach verbreiteten Postkarten Hoffmanns zum “Wallfahrtsort der Deutschen Jugend” – so Reichsjugendführer Baldur von Schirach – wo man der harten und entbehrungsreichen Zeit des Führers in Ehrfurcht gedenken solle. Die Stadt Landsberg setzte der Lobhudelei schließlich die Krone auf; im Jahre 1937 erklärte sie den Raum zum ” Nationalen Heiligtum Hitlerzelle”.

Klarerweise wollte die US-Militärregierung nach 1945 ganz schnell Tabula Rasa machen und entfernte den ganzen Spuk – und um jedem klarzumachen, wohin der Irrsinn letztendlich geführt hatte, ließ sie dort (je nach Quelle) zwischen 248 und 308 Kriegsverbrecher hinrichten, darunter Oswald Pohl, Leiter des SS-Wirtschaft-Verwaltungshauptamts, Otto Ohlendorf, Kommandeur der Einsatzgruppe D und Paul Blobel, den Schlächter von Babyn Yar. Ende der Vorstellung.

Damit in Landsberg kein Hitler-Kult entsteht, richten die Amerikaner dort 308 Kriegsverbrecher hin.
Auf dass in Landsberg kein Hitler-Kult entstehe, richten die Amerikaner dort eine große Anzahl von Kriegsverbrechern hin.

(© John Vincent Palatine 2019 – Die Bilder aus Landsberg wurden, soweit nicht in der Public Domain, von der Europäischen Holocaustgedenkstätte Landsberg, Stiftung e.V. [Englische Version] und speziell aus dem Archiv Manfred Deilers zur Verfügung gestellt. Vielen herzlichen Dank!)

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