Historia Occidentalis

Ein Magazin zur Zentraleuropäischen Geschichte

Kategorie: Historiker der Welt

Stefan Zweig und die Welt von Gestern

Stefan Zweig im Garten seines Salzburger Hauses

In der postliterarischen und schnelllebigen Welt von heute ist es schwer, dem Publikum die Beliebtheit und Bedeutung sowohl der historischen als auch der belletristischen Werke ans Herz zu legen, die Stefan Zweig (* 28. November 1881 in Wien; † 23. Februar 1942 in Petrópolis, Brasilien) vor allem in den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg weltweit genoss, und noch heute genießt.

Er war kein forschender Historiker – die Welt der Universitäten langweilte ihn und nachdem er, nolens volens, bei Friedrich Jodl in Wien seinen Doktor gemacht hatte – wie er in “Die Welt von Gestern” humorvoll erzählt – brach er in ein kosmopolitisches Leben auf. Not musste er nicht befürchten – er kam aus einer reichen internationalen Kaufmannsfamilie, die anfänglich seinen Schreibversuchen äußerst skeptisch gegenüberstand, aber sich von seinem Erfolg rasch überzeugen liess.

Zweig ist zu Recht heute noch für seinen ganz eigenen Stil berühmt, der behutsame psychologische Deutung des Menschen mit den Umständen seines Lebens in brillantem Stil und geschickter Erzählung verbindet. Es mag untypisch klingen, aber der mit Zweig unvertraute Leser möge sich bei dieser Gelegenheit vielleicht zuerst mit einem kurzen literarischen Werk vertraut machen, das der Autor hier präsentiert – der Kurzgeschichte “Brief einer Unbekannten” (Link zu Gutenberg, auch deutsche PDF hier) bzw. “Letter from an Unknown Woman” (Englische PDF hier). Ohne Zweigs Stil und Schreibweise kennengelernt zu haben, mag vieles in diesen Beitrag unverständlich bleiben.

Wie gesagt, Zweig war kein Historiker im disziplinären Sinne – er war ein Erforscher der menschlichen Seele, und da er ein ausgezeichneter Vertreter dieser Gattung Forscher war, wurden seine Betrachtungen historischer Personen weltberühmt. Wie wir berichten müssen, hatte er auch Grund, an sich selbst manche Abgründe der Seele zu beobachten, was sein Auge um so schärfer machte.

Der österreichische Germanist und Journalist Ulrich Weinzierl veröffentlichte 2015 das Buch “Stefan Zweigs brennendes Geheimnis“, in welchem er eine jugendliche Veranlagung Zweigs zum Exhibitionismus und Zuneigung zu jungen Prostituierten diagnostizierte [siehe Artikel von Jan Küveler in der WELT]. Beide Ehefrauen waren ja auch auffällig schlank und knabenhaft. Polizeibekannt wurde offenbar nie etwas und deshalb muss man in diesem Zusammenhang wohl auch nicht näher darauf eingehen. Wirklich wundern muss man sich in Bezug auf jüngere Mädchen vielleicht nicht – die Hälfte der hunderttausend Prostituierten in Wien war unter 12 Jahren alt.

Schon mit 16 Jahren erlebte er zuerst vereinzelte Veröffentlichungen seiner Gedichte in Wiener Zeitungen, mit 20 Jahren erschien sein erster Gedichtband “Silberne Saiten” und 1904 sein erster Roman. Sein Tagwerk verbrachte er als Feuilletonist der berühmten Wiener Zeitung “Neue Freie Presse” (heutzutage ‘Die Presse’), unter der Anleitung des berühmten damaligen Chefredakteurs und Begründer des Zionismus Theodor Herzl.

Dem Weltkrieg entkam er größtenteils als untauglich Gemusterter, arbeitete aber bis 1917 als Freiwilliger im österreichischen Kriegsarchiv mit, wo er sicher sein konnte, dass allfällige Schlachten nur mit Buchstaben ausgetragen wurden.

Die Welt von Gestern – The World of Yesterday

Als überzeugter Pazifist zog er nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst 1917 in die neutrale Schweiz über, wo er weiterhin als freier Schriftsteller und Korrespondent für seine Zeitung tätig war. Am 24. März 1919 reiste er wieder nach Österreich zurück, zufällig an dem gleichen Tag, als der letzte Kaiser Karl I am selben Bahnübergang das Land verließ, um ins Exil zu gehen – er beschrieb die zufällige Begegnung später in seiner berühmten Autobiographie “Die Welt von Gestern” [Link zu Gutenberg]. Er nahm seinen Wohnsitz in Salzburg, wo er schon während des Krieges das marode Paschinger Schlössl auf dem Kapuzinerberg gekauft hatte. 1920 heiratete er die Autorin Friederike Maria Burger, geschiedene von Winternitz, die die Töchter Alexia und Susanne mit in die Ehe brachte.

Friederike
Das Paschinger Schlössl

In Salzburg entstand das hochgelobte Buch “Sternstunden der Menschheit” [Link zu Gutenberg], in dem Zweig begann, sich mit den entscheidenden Momenten historischer Persönlichkeiten in romanhaft zugespitzten Erzählungen zu beschäftigen. Er schreibt im Vorwort: „Solche dramatisch geballten, solche schicksalsträchtigen Stunden, in denen eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist, sind selten im Leben eines Einzelnen und selten im Laufe der Geschichte. […] Ich habe sie so genannt, weil sie leuchtend und unwandelbar wie Sterne die Nacht der Vergänglichkeit überglänzen.“

Stefan Zweig vor seiner Salzburger Villa

Zweig war ein klassischer Liberaler, Denkzwängen und Autorität abhold, und daher ein natürlicher Feind des in Österreich an Boden gewinnenden Nationalsozialismus. An Forschung und Entwicklung interessiert, war er einer der frühesten Unterstützer Sigmund Freuds. Er war “Jude aus Zufall”, wie er selbst sagte, absolut unreligiös, aber er sah die aus Deutschland nahenden Zeichen der Zeit voraus. Hitlers Domizil auf dem Obersalzberg lag ja in Sichtweite seines Hauses. Verlegerisch war Zweig schon früh mit dem bis heute bestehenden Insel-Verlag verbunden, der all seine Werke veröffentlichte. 1933 verfasste er in Salzburg auch das Libretto für die Oper Die schweigsame Frau von Richard Strauss.

Die Familie im Garten

Nachdem die österreichischen Nationalisten Demokratie und Parlament abgeschafft und durch einen austrofaschistischen Ständestaat ersetzt hatten, ließen sie am 18. Februar 1934 im Haus des dezidierten Antifaschisten Zweig eine Hausdurchsuchung nach angeblich versteckten republikanischen Waffen durchführen, die natürlich nichts einbrachte, aber den Hausherrn so erboste, dass er sich zwei Tage später in den Zug nach London setzte und ins Exil ging.

In den Salzburger Jahren entstanden seine drei wohl bis dahin berühmtesten Werke – 1929 erschien seine Biographie von Joseph Fouché – Polizeiminister in der Französischen Republik, während des Direktoriums, unter Napoleon und im Königreich, genannt das “Bildnis eines politischen Menschen.” Es wurde ein Welterfolg trotz des sperrigen Sujets und wurde ob der politischen Rücksichtslosigkeit des Titelhelden auch von Nazis gerne gelesen. 1933 erschien “Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters” [Link zu Gutenberg], das ebenfalls großen Anklang fand und 1935 “Maria Stuart” [Link zu Gutenberg]. In Nazi-Deutschland war der Verkauf seiner Bücher ab 1935 verboten, aber der österreichische Herbert Reichner Verlag Wien verlegte und verkaufte sie weiter – die österreichischen Nazis zeigten sich weniger empfindlich gegenüber jüdischen Autoren, die jede Menge Geld ins Land brachten.

Da er bis 1938 in Österreich weiter verkaufen konnte und seine Werke danach im neutralen Schweden weitergedruckt wurden und weltweit – mit Ausnahme Deutschlands – beliebt blieben, konnte er finanziell gut überleben. Er schrieb weiter, u.a. den Roman “Ungeduld der Herzens” [Link zu Gutenberg], der dreimal (1946, 1970, 1979) verfilmt wurde. Privat jedoch würde sich in London einiges ändern.

Er hatte sich in London auf eine Liaison mit seiner neuen Sekretärin Charlotte Altmann eingelassen, die er 1939 heiratete, nachdem seine Ehe mit Friederike im November 1938 geschieden worden war. Im Juli des Jahres zog er nach Bath und begann an einer Biographie von Honoré de Balzac zu arbeiten. Er hatte die britische Staatsbürgerschaft angenommen, aber zog es vor, 1940 den Atlantik in Richtung Amerika zu überqueren, besorgt, dass die Engländer nach dem Anschluss Österreichs ihn im Kriegsfall als “Enemy Alien” behandeln und inhaftieren würden (was sie dann auch praktizierten).

Datum zweifelhaft, evtl. 1940
Ankunft in Brasilien

Über New York, Argentinien und Paraguay kam er im Jahr 1940 endlich nach Brasilien, wo er aufgrund seiner Popularität eine unbegrenzte Einreiseerlaubnis besaß. Er versprach, im Gegenzug für die bevorzugte Behandlung ein Buch über Brasilien zu verfassen (“Brasilien”, Link zu Gutenberg]. In Brasilien schrieb er außer einigen nicht fertig gewordenen Werken und Romanen die “Schachnovelle” [Link zu Gutenberg] und schließlich “Die Welt von Gestern” (s.o.)

Mit Charlotte in Brasilien

Das Leben in Brasilien war nicht so schön, wie es das Paar sich zuerst ausgemalt hatte. Lotte litt unter Asthma und das feucht-schwüle Klima in Petrópolis, wo sie sich niederließen, peinigte sie sehr.

Das Haus in Petropolis

Auch Zweig selbst ging es psychisch immer schlechter. Der Aufstieg von Faschismus, Nationalsozialismus und schließlich der Krieg hatten eine bei ihm wohl latent vorliegende Neigung zu Depressionen stark verschlimmert. Das Paar beschloss, dem Leben zu entfliehen.

Wohl am Vormittag des 22. Februar 1942 verfasste Zweig einen Abschiedsbrief, in welchem er schrieb, er werde „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ aus dem Leben scheiden. Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ hatte ihn seinem Empfinden nach entwurzelt, seine Kräfte seien „durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft“. [Link zum Text]

Am Nachmittag des folgenden Tages wurde das Paar auf ihrem Bett gefunden, aneinander gelehnt. Der Totenschein stellte eine Vergiftung durch Veronal fest – eine leere Flasche wurde auf dem Beistelltisch gefunden. Die Beerdigung fand in Petrópolis statt, wo sich auch das Grab bis heute befindet.

Beerdigung
Grabmal

Stefan Zweig wird nicht nur als einzigartiger historischer Schriftsteller in der Erinnerung der Menschheit weiterleben, sondern auch als großer Europäer und Pazifist. In einem großen Artikel im TAZ-Blog schreiben Matthias Matussek, Christa Zöchling und Joachim Lottmann über ihre Gedanken zu dem großen und gequälten Stefan Zweig – [Link].


(© John Vincent Palatine 2019)

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Gibbon, Cole und das Römische Imperium

Thomas Cole – Der Traum des Architekten

Gemälde von Thomas Cole (The Course of Empire) und anderen …


Edward Gibbon

Nur wenige Historiker bleiben Gegenstand einer auch noch weit nach ihrem Tod anhaltenden Diskussion so wie Edward Gibbon.

Das Thema der Arbeit , die ihm zu ewigem Ruhm verhalf – “Der Verfall und Untergang des Römischen Imperiums” –  war unumstritten genug – hunderte von Bänden waren geschrieben worden über den Verfall von Rom (weniger über den von Konstantinopel …) aber die meisten der im Gedächtnis des Publikums befindlichen stammten aus der modernen, das heißt christlichen Zeit.

Die Meister der Antike mussten ohne den Vorteil – wie man glaubte – einer christlichen Erziehung oder Indoktrination schreiben und daher betrachtete das britische historische Establishment des 18. Jahrhunderts sie als zweitrangig – das herrliche Evangelium, welches der Herr des Universums, Jesus Christus, den Nachkommen des Adam überbracht hatte und die vielen noblen Errungenschaften des britischen Königtums waren ihnen notwendigerweise unbekannt.

Obwohl die allerchristlichsten Kirchen durch Luthers Kritik und Gutenbergs Druckerpresse einiges an Federn hatten lassen müssen, war das 18. Jahrhundert noch eine Zeit, in der zumindest die moralische Autorität der christlichen Kirchen und die Überlegenheit ihrer Lehre im Abendland weitgehend unbestritten war. Es war zwar festgestellt worden, dass “π” nicht gleich 3 war, wie das Alte Testament behauptete, und dass es einiges mehr an Planeten, Monden und Sternen gab, als der Bibel bekannt war, aber es herrschte im Allgemeinen doch die Überzeugung vor, dass der christliche Glaube letztendlich die Erlösung der Welt vermitteln würde.

Thomas Cole – Das wilde Zeitalter

So kam es als ein Schock, als die Veröffentlichung von Band I der „Geschichte“ 1776 und mehr noch Band II und III im Jahr 1781, klar und deutlich diese semitisch-abrahamitische Religion, das Christentum, als die dritte wesentliche Ursache in dem Zerfall der großen Reiches identifizierte. Zwar war der wichtigste Faktor, in Gibbons Analyse, die ständigen barbarischen Invasionen, die jedoch vor allem aufgrund eines allmählichen Verfalls der „bürgerlichen Tugenden“ gelungen seien (zur wichtigsten ‚Bürgertugend‘ erklärte Gibbon die Unterstützung der Regierung durch die kleinen Leute, die er gegenwärtig als eine Stärke Großbritanniens ansah):

Thomas Cole – Das pastorale Zeitalter

Die Gründe und die Geschichte des Verfalls sind einfach und offensichtlich. Anstatt zu fragen, warum das römische Reich zerstört wurde, sollten wir uns eher wundern, dass es so lange Bestand hatte. Die siegreichen Legionen, die bald durch weit entfernte Kriege mehr den Charakter von Fremdheit und Söldnertum annahmen, unterdrückten zuerst die Freiheit der Republik und verletzten danach die Majestät des Purpurs. Die Kaiser, die um ihre persönliche Sicherheit und den öffentlichen Frieden besorgt waren, wurden zu den niedrigsten Hilfsmitteln gezwungen, die nur dazu geeignet waren, die Disziplin zu korrumpieren, die sie für ihren Souverän und den Feind gleichermaßen bedrohlich machte. [d.h. das Militär mit Geld ruhig zu halten] Die Kraft der militärischen Verwaltung wurde durch die Reichsteilung Konstantins gemindert und schließlich aufgelöst; und die römische Welt wurde von einer Flut von Barbaren überwältigt. “[Untergang und Fall des römischen Reiches, Kapitel 38„ Allgemeine Beobachtungen über den Fall des römischen Reiches im Westen “]

Thomas Cole – Die Blüte des Imperiums

Dies alleine hätten viele Zeitgenossen eventuell noch geschluckt, aber der letzte Quart von Band I (Kapitel XV und XVI) enthielt eine sehr umstrittene Passage, die Gibbon den Vorwurf des „Heidentums“ einbrachte:

Da nun das Glück des Lebens nach dem Tod das große Ziel der Religion ist, müssen wir ohne Überraschung oder Skandal erkennen, dass die Einführung oder zumindest der Missbrauch des Christentums einen Einfluss auf den Untergang und den Fall des römischen Reiches haben musste. Der Klerus predigte erfolgreich die Lehren von Geduld und Verzagtheit; die aktiven Tugenden der Gesellschaft wurden entmutigt; und die letzten Überreste militärischen Geistes im Kloster begraben: ein Großteil des öffentlichen und privaten Reichtums wurde den trügerischen Blendungen der Nächstenliebe und christlicher Hingabe geweiht. und die Gehälter der Soldaten wurden an die nutzlosen Massen von Mönchen und Nonnen ausgeschüttet, die nur die Vorzüge von Enthaltsamkeit und Keuschheit geltend machen konnten. Glaube, Eifer, Neugierde und die irdischen Leidenschaften der Bosheit und des Ehrgeizes entfachten die Flammen theologischer Zwietracht; die Kirche und sogar der Staat wurden von den Auseinandersetzungen religiöser Gruppen abgelenkt, deren Konflikte manchmal blutig und immer unerbittlich waren. Die Aufmerksamkeit der Kaiser wurde vom Feldlager zu Synoden abgelenkt. Die römische Welt wurde von einer neuen Art von Tyrannei unterdrückt; und die verfolgten Sekten wurden die natürlichen und geheimen Feinde ihres eigenen Landes.

Aber Parteigeist, so verderblich oder absurd er auch sein mag, kann sowohl ein Prinzip der Einigkeit als auch der Uneinigkeit sein. Die Bischöfe zwangen aus ihren achtzehnhundert Kanzeln einem rechtmäßigen und orthodoxen Souverän Gehorsam auf; ihre häufigen Versammlungen und die ewige Korrespondenz stützten die enge Gemeinschaft weit entfernter Kirchen. Die wohlwollende Botschaft des Evangeliums wurde durch dieses geistige Bündnis der Katholiken gestärkt und bestätigt. Die heilige Trägheit der Mönche wurde von einem unterwürfigen und femininen Zeitgeist nur noch unterstützt; aber selbst wenn der allerchristlichste Aberglaube keinen bequemen Rückzug gewährt hätte, hätte dasselbe Laster der Faulheit die unwürdigen Römer genauso dazu verleitet, aus niederträchtigen und selbstsüchtigen Gründen die Ideen der Republik zu verraten. Nur zu leicht werden religiöse Gebote befolgt, die den natürlichen Neigungen ihrer Anhänger frönen und sie heiligen; und der reine und echte Einfluss des Christentums kann ebenso in seinen positiven, wenn auch unvollständigen Auswirkungen auf die barbarischen Proselyten des Nordens verfolgt werden. Als der Untergang des römischen Reiches durch die christliche Bekehrung Konstantins beschleunigt wurde, brach seine siegreiche Religion die Gewalt des Falles und milderte das grausame Temperament der Eroberer.

Das heißt, genauso wie die christliche Religion die Völker des Imperiums entmannt und korrumpiert hatte, tat sie das bald auch – “Gott sei Dank!” – bei den Barbaren.

Thomas Cole – Die Zerstörung des Imperiums

Schlimmer war es wohl noch für den devoten Christusjünger, dass Gibbon die Toleranz heidnischer Gesellschaften und die Weisheit ihrer Herrscher (d.h. auch der römischen Kaiser vor AD 300) positiv mit der Intoleranz und Inflexibilität der Christen (oder Muslime, was das betrifft) und ihrer Lehren verglich und ihre historische Vorliebe für Bruderkriege kritisierte (dies war ein Seitenhieb Gibbons an die Adresse einiger britischer Könige, zum Beispiel Edward VIII):

Die verschiedenen Formen der Götterverehrung, die in der römischen Welt herrschten, wurden von den Menschen alle als gleich wahrhaftig betrachtet; von den Philosophen als gleich falsch; und von den zivilen Verwaltungen als gleichermaßen nützlich.

Eine anderer, sehr unappetitlicher Schlag für die Heiligkeit und Spiritualität der Kirche wurde in der skandalösen Tatsache gefunden, dass Gibbon es wagte, die mannigfaltigen Berichte christlichen Martyriums als eigennützige Fälschungen zu entlarven – aus sekundären Quellen stammend, die unabhängiger Überprüfung nicht standhalten konnten. Sie seien, sagte er, nichts als christliche Propaganda – womöglich frei erfunden.

Schlimmer noch, für jenen Teil christlicher Verfolgung, deren tatsächliche geschichtliche Grundlage man vernünftigerweise annehmen könne, wies Gibbon darauf hin, dass eine solche nicht auf religiöser oder spiritueller Grundlage beruhte, sondern auf die Praxis der römischen Staatsreligion – dem römische Staat war es egal, was man glaubte – und der Bedeutung, die man der Durchführung der – eher symbolischen – Opfer durch die normalen Bürger zumaß.

Das Opfer an die Götter Roms war keine Frage der Religion oder der Weltanschauung – es war eine Demonstration der Loyalität gegenüber dem Reich – und die, die sich weigerten, waren nicht Ungläubige, sondern Illoyale – und des Verrats verdächtig.

Während Gibbon sich meistens (und vielleicht weise) allzu offensichtliche Kommentare zu verschiedenen biblischen Geschichten verkniff oder darauf verzichtete, die Launen jüdischer Propheten und christlicher Evangelikaler zu diskutieren, hielt er sich bei der – seiner Meinung nach – säkularen Herkunft und intellektuellen Diebstahls des Korans und seines heiligen irdischen Empfängers nicht zurück. In einer berühmten Passage erzählt er die Geschichte der Siebenschläfer (der Menschheit seit über zweitausend Jahren wohlbekannt) und kommentiert:

Die beliebte Geschichte, die Mahomet wohl gelernt hatte, als er seine Kamele zu den Märkten von Syrien trieb, fügte er als – eine göttliche Offenbarung – in den Koran ein.

Thomas Cole – Das Verlassene Reich

Gibbon‘s Beschreibung von Mohammeds Leben spiegelt einen sehr weltlichen heiligen Propheten und seine praktische Herangehensweise an das Leben wider, der …

” … in seinem privaten Verhalten … dem natürlichen Appetit eines Mannes frönte und den Anspruch eines Propheten missbrauchte. Eine spezielle Offenbarung entband ihn von den Gesetzen, die er seiner Nation auferlegt hatte: das weibliche Geschlecht, ohne Ausnahme, wurde seinen Wünschen unterstellt; und dieses einzigartige Vorrecht erregte Neid statt Skandal und Verehrung anstatt Entrüstung unter seinen frommen Muselmanen.

Gibbon hatte ein kleines Problem mit der Befreiung des Propheten von den allgemeinen Gesetzen und seiner Anhänger Achtung des weiblichen Geschlechts. Der Terror der muslimischen Hölle konnte ihn nicht völlig entmutigen, doch konnten die Freuden des muslimischen Paradieses ihn ebenfalls nicht ganz überzeugen:

Das Schicksal aller Ungläubigen ist gleich: das Maß ihrer Schuld und Strafe durch den Grad der Offensichtlichkeit der Offenbarungen bestimmt, die sie abgelehnt haben und von der Größe der Fehler, die sie begangen haben: die ewigen Gebäude der Christen, Juden, Sabäer, Magier und Anbeter von Bildern werden eins nach dem anderen in den Abgrund versenkt; und die tiefste Hölle ist für diejenigen treulosen Heuchler reserviert, die die Religion nur vorgespiegelt haben. Nachdem und obwohl der größte Teil der Menschheit für ihre Überzeugungen verurteilt worden ist, werden die wahren Gläubigen nur nach ihren Handlungen beurteilt werden.

Das Gute und Böse in jedem Muselmann wird genau, sowohl real als auch allegorisch gewogen werden; und eine einzigartige Art der Entschädigung für die Wiedergutmachung von Verletzungen und Sünden instituiert: der Schuldige wird dem Opfer äquivalent von seinen eigenen guten Taten abgeben; und sollte er moralisch mittellos sein, wird dem Gewicht seiner Sünden ein angemessener Anteil der Verfehlungen seines Opfers hinzugefügt. Je nachdem wie seine Schuld oder Tugend überwiegt, wird das Urteil gesprochen, und alle, ohne Unterschied, werden die scharfe und gefährliche Brücke des Abgrunds überqueren; aber die Unschuldigen, in den Fußstapfen von Mahomet schreiten, werden glorreich die Tore des Paradieses betreten, während die Schuldigen in die erste und mildeste der sieben Höllen fallen.

Die Dauer der Sühne wird zwischen 900 und 7000 Jahren betragen; aber der Prophet hat – vernünftigerweise – versprochen, dass alle seine Jünger, wie auch immer ihre Sünden, durch ihren eigenen Glauben und seine Fürsprache vor der ewigen Verdammnis gerettet werden können. Es ist nicht verwunderlich, dass Aberglaube sich am stärksten auf die Ängste seiner Anhänger auswirkt, da die menschliche Phantasie das Elend des zukünftigen Lebens sich mit mehr Energie vorstellen kann als eine eventuelle Seligkeit. Mit den beiden einfachen Elementen von Finsternis und Feuer schaffen wir so ein Gefühl von Verzweiflung, das von der Vorstellung einer endlosen Dauer unendlich verschlimmert wird.

John Martin – Pandemonium

Aber das gleiche Prinzip arbeitet mit entgegengesetztem Effekt, was die Kontinuität von Freude betrifft; und viel von unserer irdischen Freude kommt aus dem simplen Ausbleiben des Bösen. Es ist ganz natürlich, dass ein arabischer Prophet mit Entzücken die Haine, Brunnen und Flüsse des Paradieses preist; aber statt die gesegneten Bewohner mit einem liberalen Sinn für Harmonie und Wissenschaft, Unterhaltung und Freundschaft zu inspirieren, feiert er müßig Perlen und Diamanten, Roben aus Seide, Paläste aus Marmor, Geschirr aus Gold, reiche Weine, leckeres Essen, zahlreiche Diener, und das ganze Trara sinnlichen und kostspieligen Luxus, das dem Eigentümer, sogar in der kurzen Zeit eines sterblichen Lebens, bald fade wird.

Zweiundsiebzig Houris, schwarzäugige Mädchen, von prächtiger Schönheit, blühender Jugend, höchster Reinheit und exquisiter Sensibilität werden für die Nutzung eines jeden gemeinen Gläubigen geschaffen werden; der Moment der Freude wird auf tausend Jahre verlängert; und, um ihn seines Glückes würdig zu machen, werden seine Fähigkeiten hundertfach erhöht werden. Ungeachtet eines vulgären Vorurteils werden die Tore des Himmels für beide Geschlechter offen sein; aber Mahomet hat die männlichen Begleiter der weiblichen Auserwählten nicht spezifiziert, sodass er weder durch die Eifersucht ihrer früheren Gatten Alarm auslöse, noch deren Glückseligkeit durch den Verdacht auf eine ewige Dauer ihrer Ehe gemindert werde.

Dieses Bild eines sinnlichen Paradieses hat die Empörung – und vielleicht den Neid der Mönche – provoziert: sie wettern gegen die unreine Religion Mohammeds; und dessen bescheidenere Apologeten sehen sich zu schlechten Ausreden von Figuren und Allegorien gezwungen. Aber die vernünftige und konsistentere Fraktion hält sich ohne Scham an die wörtliche Auslegung des Korans: nutzlos wäre die Auferstehung des Körpers, es sei denn, er wäre im Besitz und zur Ausübung seiner würdigsten Fähigkeiten wiederhergestellt; und die Vereinigung von sinnlichem und intellektuellem Genuss ist erforderlich, um das Glück des Mannes zu vervollständigen. Doch die Freuden des mohammedanischen Paradieses sollen nicht auf den Genuss von Luxus und Appetit beschränkt sein; und der Prophet hat ausdrücklich erklärt, dass all dies gemeine Glück durch die Heiligen und Märtyrer vergessen und verachtet werden wird, die an der göttlichen Vision teilhaben.

Unerklärlicherweise übersieht es Gibbon, die architektonische Robustheit der ewigen Herberge zu loben, die, wie wir hören, aus zwölf gleich großen, übereinanderliegenden Etagen besteht, was die meisterhafte Beherrschung raumzeitlicher Geometrie des himmlischen Baumeisters bestätigt.

Man merkt, dass er Spaß an der Sache hat, aber der Prophet macht es ihm auch leicht. Natürlich machen sich diese Absätze sich auch als Gleichnis über die Naivität der christlichen Himmelsvorstellung lustig, worin die Belohnung des Gläubigen darin besteht, auf einer Wolke zu sitzen, Manna zu essen, die Harfe zu schlagen und Hosianna zu singen. Ewig.

Es war das Zeichen Gibbons, dass er sich in seinen Meinungen und Urteilen Freiheiten nahm, die frühere Historiker nicht gewagt hätten. Für einen Historiker, sagten viele, sei das ungehörig – er solle „fair“ sein … (?)

Den armen Juden erging es nicht viel besser – er nannte sie “ein Volk von Fanatikern, deren verderblicher Aberglaube aus ihnen nicht nur die unversöhnlichen Feinde der römischen Regierung zu machen schien, sondern auch die der ganzen Menschheit … .”

Nach unseren heutigen Maßstäben und politisch korrekten Standards gibt es in Gibbon viel zu kritisieren. Aber es gibt auch viel zu bewundern – und nicht zuletzt seine Kühnheit des Urteils. Aber in der englischen Geschichtsschreibung vielleicht unübertroffen ist seine schiere stilistische Geschicklichkeit, Genauigkeit der Diktion und – zur ewigen Belustigung des Lesers – sein unerschöpflicher Vorrat an Ironie, Satire und Sarkasmus. In Anbetracht der Unsumme an menschlichen Torheiten, für die unsere Zeitgenossen täglich Beweise liefern, kann und sollte Geschichte zu schreiben auch Spaß machen.

Und Spaß macht Edward Gibbon.

(© John Vincent Palatine 2015/19)

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Sir Lawrence Alma Tadema – Maler der klassischen Antike

In the Tepidarium

Weltberühmt in der Zeit seines Lebens, nach dem Tod vergessen, und seit den 1960er Jahren wiederentdeckt, Sir Lawrence Alma-Tademas (8. Januar 1836 – 25. Juni 1912) Darstellungen aus der Klassischen Antike wurden genial genannt, aber auch als Kitsch bezeichnet.

Seiner Familientradition nach war er dazu bestimmt, Rechtsanwalt zu werden – zum Glück aber für die Welt der Kunst, fiel der Plan flach, als er, im Alter von sechzehn Jahren, sich an der seit 1663 bestehenden Königlichen Akademie der Schönen Künste von Antwerpen in Holland einschrieb, um frühe niederländische und flämische Kunst zu studieren. Was dann passierte, kann man auf Wikipedia und vielen anderen Websites lesen – wir verzichten auf die Geschichte und zeigen eine Auswahl seiner Werke …

Die Frauen von Amphissa
Die Frauen von Amphissa
Das Kolosseum
View From The Villa Jovis by Sir Lawrence Alma-Tadema
View From The Villa Jovis – von Sir Lawrence Alma-Tadema
Eine Vorlesung Homers
Eine Vorlesung Homers
The Baths of Caracalla
Die Thermen Caracallas
Das Warten
At Aphrodite's Cradle
At Aphrodite’s Cradle
Ask me no more - Sir Lawrence Alma Tadema
Ask me no more – Sir Lawrence Alma Tadema
Fortune's Favourite
Fortune’s Favourite
Spring by Sir Lawrence Alma Tadema
Frühling

Websites:

Athenaeum

Alma-Tedema Foundation

(© John Vincent Palatine 2019)

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Sir Lawrence Alma Tadema – Maler der klassischen Antike

Im Tepidarium, von Sir Lawrence Alma Tadema
Im Tepidarium, von Sir Lawrence Alma Tadema

Vielleicht der größte Maler der Klassischen Antike …

Temporäres Link

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