Aus nachvollziehbaren Gründen haben die Alliierten des 1. Weltkriegs es vorgezogen, über die Entwicklung ihrer Rüstung in den beiden Jahrzehnten vor dem Krieg so wenig wie möglich verlauten zu lassen, obwohl die Geschichtsschreibung das Informationsdefizit langsam aufholt.

Der vorliegende Beitrag basiert wesentlich aus der uns vorliegenden Studie “Der Weg in den Ersten Weltkrieg” von Anscar Jansen, und gibt einen Überblick über die Vorgänge im Deutschen Reich bis 1914.

Teil I – Heer


In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde die deutsche Rüstung durch drei Faktoren bestimmt: zunächst durch die nach dem Tirpitzplan sich vollziehende Flottenrüstung, die durch die technische Entwicklung zu ständigen Veränderun­gen an den Schiffen führte, dann der durch die technische Entwicklung bedingte große Bedarf an neuen Ausrüstungsgegenständen des Heeres und schließlich das im Zusammenhang mit den steigenden internationalen Spannungen stehende Bedürfnis, das deutsche Heer auch zahlenmäßig zu vergrößern.430 Diese Fakto­ren trugen dazu bei, dass die Rüstungskosten explodierten und es damit immer schwieriger wurde, die finanziellen Realitäten und die Wünsche der Militärs in Einklang zu bringen.

30th June 1914: German infantry on manoeuvres in preparation for war. (Photo by Topical Press Agency/Getty Images)

Zunächst einmal bestimmte die Flottenrüstung das Bild. Nach dem von Tirpitz, dem Chef des RMA, aufgestellten Plan sollte das Deutsche Reich eine Flotte erhalten, die in einer zukünftigen Auseinandersetzung mit Großbritannien beste­hen könnte. In dem Maße, in dem jedoch Deutschland seine Flotte ausbaute, er­höhten auch die Briten die Zahl ihrer Schiffe. So standen 1914 bei den fertigge­stellten Schiffen den englischen 32 modernen Großkampfschiffen deren 22 auf deutscher Seite gegenüber.431 Nimmt man dazu die noch im Bau befindlichen Schiffe, so würde sich das Zahlenverhältnis rasch weiter verschlechtern. Im Jah­re 1917 stünden dann 44 britische 25 deutschen Schiffen gegenüber.432 Tirpitz’ Vorhaben war damit eindeutig gescheitert.

Beim Heer konnte man den Rüstungsfortschritt an der zunehmenden zahlenmä­ßigen Stärke der deutschen Armee ablesen. Betrug die Zahl der Truppen 1899 noch 495.000 Mann,433 so war sie 1913 bereits auf 782.344 Mann gestiegen,434 Diese Erhöhung der Personalstärken wurde begleitet von erbitterten Auseinan­dersetzungen zwischen dem Generalstab und dem Kriegsministerium. Während der Generalstab die erreichten Truppenstärken als bei weitem nicht ausreichend ansah, versuchte das Ministerium, immer wieder auf die Bremse zu treten und die Steigerungen einzuschränken. Diese Auseinandersetzungen sollten praktisch bis zum Kriegsausbruch andauern. Neben der Erhöhung der Personalstärken kam es darauf an, den Materialbestand des Heeres zu modernisieren. Die rasante technische Entwicklung machte hier­bei eine Vielzahl von Neuanschaffungen nötig. Zur Verdeutlichung der Neuein­führungen nach 1900 sollen die folgenden Zeilen dienen, ohne jedoch den An­spruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Zunächst einmal ist die Umbe­waffnung auf das Gewehr 98 zu nennen. Die Kosten für die Umbewaffnung wurden mit 73 Millionen Mark veranschlagt.435 Sie konnte wegen der Heeres­vermehrung von 1912 bis Kriegsbeginn nicht durchgeführt werden, sodass die Landwehr- und Landsturmtruppen immer noch mit veralteten Gewehren ausge­rüstet waren.436 Ab 1909 wurde die Kavallerie mit dem Karabiner 98 ausgerüs­tet.437 Ab 1909 gelangte auch die Pistole 08 zu den Truppen.438 Schließlich wur­de 1908 auch ein neues MG eingeführt.439 Bis zum Kriegsbeginn waren alle MG-Formationen mit der neuen Waffe ausgerüstet, die älteren Modelle wan­derten in die Gerätereserve oder zu den Festungsbeständen.440 Am 24. Novem­ber 1910 schrieb Moltke an das Allgemeine Kriegsdepartement des Kriegsministeriums und forderte dieses auf, die Versuche mit einem Selbstladegewehr fortzusetzen und ihm darüber zu berichten 441 1913 wurden erstmals Hand- und Gewehrgranaten beschafft:442 Ab 1908 kam die fahrbare Feldküche bei der Truppe zur Anwendung.443 1908 wurde bei der Kavallerie ein Brückenwagen eingeführt, der ohne Hilfe der Pioniere die Überbrückung von Gewässern er­laubte.444 1909 erhielten auch die Pioniere ein neues Brückengerät.445 Im selben Jahr bekamen sie auch neue Scheinwerfer.446 1908 gelangte ein Truppenfern­sprecher zur Einführung:147 1905 wurden bespannte Funken-Telegraphen­Abteilungen geschaffen.448 1906 wurden erstmals PKWs für höhere Komman­dostellen angeschafft.449 Ab 1910 waren jährlich 1 Million Mark für die Sub­ventionierung von Privat-LKWs, die im Kriegsfall der Truppe zur Verfügung gestellt werden sollten, vorgesehen.45° 1908 wurden 175 LKWs subventioniert, 1909 207, 1910 152, 1911 156, im Jahr 1912 135, insgesamt 825 LKWs.451 Be­ginnend 1907 wurde bei der Truppe die neue feldgraue Uniform ausgegeben, und nach zwei Jahren war die gesamte Armee damit versehen worden.452 Mit der Umbewaffnung der Feldartillerie auf die neuen Geschütze mit Rohrrücklauf wurde 1905 begonnen, ursprünglich waren dafür vier Jahre vorgesehen; die erste Marokkokrise führte aber zu einer Beschleunigung, sodass die Umbewaffnung schon Ende 1908 — und damit ein halbes Jahr früher als geplant — beendet war.453 Die neue Haubitze 98.09 traf im Jahr 1910 bei der Truppe ein, 1912 wa­ren alle Haubitzen-Abteilungen umgerüstet.454 Hier waren die Reserve-Formationen bei Kriegsbeginn noch nicht komplett auf das neue Gerät umgestellt worden.455 Auch die Umbewaffnung auf die schwere Feldhaubitze 02 machte nur langsam Fortschritte.456 Mit der Anschaffung der Rundblickfernroh­re war 1905 begonnen worden.457 Diese neuen Richtmittel für die Artillerie wa­ren 1914 nur bei den aktiven Truppen eingeführt worden.458

Neu im Arsenal der deutschen Armee war die schwere mobile Artillerie. Als eigene Waffengattung war sie erst von Schlieffen geschaffen worden.459 Die Entwicklung der schwersten Artillerie wurde zwischen Krupp, der Artillerie­Prüfungskommssion und dem Generalstab betrieben; erst später wurde das Kriegsministerium eingeschaltet.46° Da die Finanzierung nicht über den Rüs­tungsetat erfolgen konnte, mußte der Generalstab Krupp überzeugen, die Ge­schütze auf seine Kosten zu bauen, in der Hoffnung, daß sie eines Tages doch von der Armee erworben und bezahlt werden würden.461

Bis 1914 konnte bei allen Truppen der 1909 erstmalig angeschaffte 21 cm-Mörser ausgeliefert werden.462 Seit 1908 wurde die Zahl der mit 10 cm-Kanonen ausgerüsteten Batterien auf zwölf vermehrt.463 in den Jahren 1908/11 erhielten acht Batterien eine 13 cm-Kanone, obwohl deren Konstruktion Mängel auf­wies.464 1910 begann die Einführung der schweren Minenwerfer mit einem Ka­liber von 25 cm, ab 1913 folgten dann die mittleren, 17 cm-Mörser.465 Seit 1910 stand ein 30,5 cm-Mörser zur Verfügung.466 im Frühjahr 1911 wurde ein 42 cm-Mörser unter der Tarnbezeichnung „Kurze-Marine-Kanone” eingeführt.467 Ein Jahr später, im Frühjahr 1912, wurde eine weitere kurze Marinekanonen-Batterie ebenso wie ein zusätzlicher 42 cm-Mörser bestellt.468


Anmerkungen:

429 So verdoppelten sich in den Jahren zwischen 1900 und 1914 die Rüstungsausgaben in Ös­terreich-Unagm, Deutschland und Rußland. — P. M. Kennedy: The First World War and the International Power System. S. 7 f., in: St. E. Miller (ed.): Military Strategy and the Origins of the First World War. Princeton 1985, S. 7-41.

430 Zur deutschen Rüstung vor dem Ersten Weltkrieg siehe J. Steinberg: Tirpitz and the Birth of the German Battle Fleet: Yesterday’s Deterrent. London 19682; P. M. Kennedy: Tirpitz, England and the Second Navy Law of 1900: A Strategical Critique. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 8 1970, S. 33-57; Epkenhans; Förster: Heeresrüstungspolitik; Geyer; Herr­mann: Arming.

431 Petter: Flottenrüstung S. 255.

432 Ebd., S. 260.

433 Gravier S. 124,

434 Herrmann: Arming S. 234.

435 Reichsarchiv (Hg.): Der Weltkrieg 1914-1918. Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft. Bd. 1 Berlin 1930, S. 226. 436 Ebd., Bd. 1, S. 226. 437 Ebd., Bd. 1, S. 227. 468 Ebd., Bd. 1, S. 228.439 Ebd., Bd. 1, S. 230.
44° Ebd., Bd. 1, S. 231.

441 Ludendorff, Nr. 5, S. 6.

442 Reichsarchiv: Kriegsrüstung, Bd. 1, S. 263.

443 Matuschka S. 161.

444 Ebd., S. 169 f.

445 Reichsarchiv: Kriegsrüstung, Bd. 1, S. 267. 446 Ebd., Bd. 1, S. 266. 447 Ebd., Bd. 1, S. 276.

448 Matuschka S. 183 f.

449 Reichsarchiv: Kriegsrüstung, Bd. 1, S. 281. 45° Ebd., Bd. 1, S. 283.

451 V. Löbells Jahresberichte über das Heer- und Kriegswesen, XXXIX. Jg. 1912, S. 350 f.

452 Reichsarchiv: Kriegsrüstung, Bd. 1, S. 290.

453 Ebd., Bd. 1, S. 236. Die Umbewaffnung wurde notwendig, da unter dem Einfluß der Firma Krupp ein bereits bei seiner Einführung veraltetes Geschütz beschafft wurde. Dazu siehe G. W. F. Hallgarten: Das Wettrüsten. Seine Geschichte bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1967, S. 59 f. Einen Vorgang, den man mit Mollin als „Skandal erster Ordnung” bezeichnen kann.­Mollin S. 269. Zu den technischen Details siehe Linnenkohl S. 65 ff.454 Reichsarchiv: Kriegsrüstung, Bd. 1, S. 239.

Teil II: Luftfahrt

… folgt.

Der Verlag von Herrn Jansen wurde kontaktiert, jedoch ist bisher leider kein Kontakt zum Verfasser zustande gekommen. (© John Vincent Palatine 2020)


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