Einführung in die Entwicklung der neuen Ostpolitik der BRD


Seit dem 9. Mai 1945 existierte Deutschland in keiner völkerrechtlich definierten Staatsform. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Reims bzw. Berlin-Karlshorst am 7. und 8. Mai 1945 hatte der Zweite Weltkrieg in Europa geendet. Es gab keine deutsche staatliche Autorität mehr – die Städte lagen in Trümmern. Der Alltag der Deutschen war von Hoffnungslosigkeit und Erschöpfung, Apathie und Sorge um vermisste Angehörige bestimmt.

1.    Die Konferenz von Potsdam – Kollision alliierter Interessen

Die Staatsoberhäupter der drei Hauptalliierten UdSSR, England und USA, Stalin, Churchill und Truman, trafen sich vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof bei Potsdam, um die Nachkriegsordnung zu regeln.1 Die geographische und politische Ausgestaltung Deutschlands und Osteuropas, vor allem Polens, und die zukünftige Weltordnung bildeten die Kernthemen. Es zeigte sich schnell dass sich eine Lagerbildung zwischen Demokraten und Kommunisten, Osten und Westen, andeutete.2

Die polnischen und deutschen Fragen standen in engem Zusammenhang und wurden im Verlauf der Konferenz intensiv diskutiert. In London hatte sich während des Krieges eine nationalistische, also anti-kommunistische, polnische Exilregierung etabliert, die nicht demokratisch legitimiert war – und nicht unter sowjetischem Einfluss. Stalin schlug vor, diese von einer „Regierung der nationalen Einheit“ ablösen zu lassen.3

Viele Fragen der künftigen internationalen politischen Ordnung sollten, den Vorstellungen Trumans folgend, an einem Rat der Außenminister delegiert werden, der sich mit einem Entwurf eines Friedensvertrages und eines Konzeptes für die zu schaffende Nachkriegsordnung


1 Josef Stalin für die UdSSR, Winston Churchill für England und Harry Truman als neuer Präsident der USA.

2 Die Semantik – Wortwahl und ihre unterschwelligen Zuordnungen und Konnotationen – ist in  politischen Betrachtungen immer ein Problem. Benutzt man „Ostblock“ und „Westblock“, „NATO“ und „Warschauer Pakt“, „Kommunisten“ und „Demokraten“oder einfach „Osten“ und „Westen“? Die Wortwahl dieses Textes ist nicht präjudizierend gemeint, sondern ergibt sich im Prinzip ad hoc und auch der Abwechslung halber.

3 Einige nichtkommunistische Vertreter, so der Vorschlag, sollten zu der kommunistischen Regierung  dazu gewählt werden – ein reines Schaufenstermanöver, denn die Mehrheit bliebe unter sowjetischer Kontrolle.


beschäftigen solle. In Bezug auf Deutschland wurde zunächst die Schaffung eines Alliierten Kontrollrats beschlossen.

Das erste praktische Problem war die operative Definition von “Deutschland“, worüber es ein längeres Hin und Her zwischen Truman und Stalin gab. Truman insistierte auf der Definition „Deutschland in den Grenzen von 1937“, Stalin auf den Status quo von 1945. Zu Roosevelts Idee einer Aufteilung Deutschlands in Teilstaaten wurde eine Stellungnahme verabschiedet, die ein solches Vorgehen zuließe aber nicht forderte.

Außerdem wurde die zukünftige Ordnung in Osteuropa, dem Balkan und Italien thematisiert. Mit Ausnahme von Italien und Griechenland hatte die Sowjetunion dort 1944 Regierungen vor eigenen Gnaden eingesetzt, welche jedoch von Truman und Churchill nicht akzeptiert wurden.4

Eine inoffizielle Aufteilung Europas in westliche und östliche Einflusssphären, hatten Stalin und Churchill bereits bei ihrer Moskauer-Konferenz 1944 besprochen5. Die Frage der polnischen Westgrenze bildete für Stalin den Aufhänger für die geostrategische Ausgestaltung Russlands und Osteuropas nach dem Kriege. Ein „Cordon Sanitaire“ aus vorgeblich unabhängigen Ländern um Russland herum sollte sowohl politischer als auch militärischer Absicherung dienen und als Pufferzone fungieren, die das  Vordringen eventueller demokratischer oder liberaler Einflüsse verhindern sollte.

Stalin konnte sich erlauben auf Zeit zu spielen, da ihm klar war dass der Großteil der Truppen der westlichen Alliierten in den folgenden Monaten zur Demobilisation anstand. Tatsächlich hatte die Rote Armee schon seit dem ersten Vordringen auf das deutsche Reichsgebiet mit einer zuerst improvisierten, bald jedoch organisierten Vertreibung der Deutschen begonnen. Diese Vertreibung wurde in westlicher Richtung bis zur Oder-Neiße-Linie voran getrieben, welche sowohl von Stalin als auch dem von ihm beherrschten „Lubliner Komitee“6 alsbald als neue polnische Westgrenze vorgeschlagen wurde. Das Komitee wurde durch die Aufnahme einiger nichtkommunistischer Minister erweitert und am 5. Juli 1945 offiziell anerkannt.

Die wesentlichen Ergebnisse in Bezug auf Deutschland und Osteuropa wurden in einem Kommuniqué vom 2. August 1945


4 Tito hatte Jugoslawien ohne sowjetische Unterstützung unter Kontrolle gebracht.

5 Im Grunde war dies eine Wiederholung des deutsch-sowjetischen Beistandspaktes vom 23.8.1939 zwischen Ribbentrop und Molotow – nur die Partner waren andere. Churchill schlug folgende prozentuale Anteile an politischem Einfluss vor: (1) Rumänen: Sowjetunion 90 % – Westen 10 %, (2) Griechenland: Großbritannien 90% – Sowjetunion 10 %, (3) Bulgarien: Sowjetunion 75 %  – Westen 25 %, (4) Jugoslawien und Ungarn für beide Seiten jeweils 50 %.

6 Die Vorläuferorganisation der kommunistischen Nachkriegsregierung Polens.


veröffentlicht 7, das als „Potsdamer Abkommen“ bezeichnet wurde. In Bezug auf Deutschland wurde beschlossen:

  1. Ein „geordneter und humaner Transfer“ deutscher „Bevölkerungsteile“ aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei,
  2. die Festlegung polnischer Verwaltungshoheit über alle ehemals deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie (die endgültige Grenzziehung wurde einem zukünftigen Friedensvertrag vorbehalten)8 und
  3. die Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung Deutschlands durch den Alliierten Kontrollrat.

Summa summarum gab es jedoch wenig Einigkeit zwischen den Alliierten – konkret beschlossen wurde lediglich die Teilung Deutschland in Besatzungszonen. Letztlich scheiterten sowohl alle Bemühungen einer gemeinsamen Besatzungspolitik als auch die Verwirklichung gemeinsamer geopolitischer Vereinbarungen – was letztlich zur Spaltung Deutschlands und Europas und zum Kalten Krieg führte.

2. Politik und Realität der deutschen Teilung bis Mitte der 60er Jahre

2. 1. Die bleierne Zeit des Konrad Adenauer – Westintegration

Der Wiederaufbau Deutschlands musste notwendigerweise mit der Sicherstellung einer Lebensgrundlage für das Volk beginnen, was Ernährung und Unterkunft zu den primär zu lösenden Problemen machte. Die zukünftige wirtschaftliche und politische Entwicklung Westdeutschlands wurde konzeptuell besonders von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und dem fränkischen Wirtschaftstheoretiker Ludwig Erhard dominiert, der später Wirtschaftsminister im Kabinett Adenauer und 1963 sein Nachfolger als Kanzler wurde. Die von der Bundesregierung betriebene Westintegration der Bundesrepublik wurde von dem Marshallplan und darauffolgenden Wirtschaftswunder stark begünstigt und siegte beim Wähler recht mühelos über das auf Blockfreiheit und baldige Wiedervereinigung zielende Alternativkonzept der SPD.


7 Völkerrechtlich gesehen war das „Potsdamer Abkommen“ kein internationaler Vertrag, sondern lediglich eine Willens- bzw. Absichtserklärung der Konferenzteilnehmer

8 Trotz der Potsdamer Erklärung blieb die Oder-Neiße-Linie umstritten, wie die britischen Außenminister Bevin am 10. Oktober 1945 und sein amerikanischer Kollege Byrnes am 6. September 1946 öffentlich bestätigten


Besatzungszonen 1945

Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ab 1955 blieb umstritten. Um 1959 wendete sich die SPD mit dem Godesberger Programm endgültig von ihren marxistischen Wurzeln ab, um neue Wählerschichten als gemäßigte Volkspartei zu suchen. Das außenpolitische Hauptziel der Regierung Adenauer nach dem Petersberger Abkommen9 war in den Anfangsjahren der Bundesrepublik die Wiederherstellung staatlicher Souveränität gegenüber den Siegermächten. Deutsche Teilsouveränität gegenüber den Westmächten wurde ab 1954 mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge erlangt, deren wichtigsten Teil – der Deutschlandvertrag – das Besatzungsstatut beendete. 1955 wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO.

Adenauer verfolgte stets den Alleinvertretungsanspruch10 der Bundesrepublik für alle Deutschen und die staatliche Nichtanerkennung der DDR. Durch die Hallstein- Doktrin11 sollte deren diplomatische Anerkennung durch andere Staaten verhindert werden. Beim Umgang mit der Sowjetunion musste Adenauer sich jedoch flexibel zeigen, nicht zuletzt um bei den Moskauer Verhandlungen 1955 die Rückkehr der verbliebenen deutschen Kriegsgefangenen zu erreichen

Der Mauerbau

Ab 1960 wurden in der deutschen Innenpolitik Angleichungen der großen Volksparteien in Programmatik und politischer Realität bemerkbar, was sich in den sehr ähnlichen Profilen zeigte, mit denen SPD und Union ab 1961 in die Wahlkämpfe zogen. Die SPIEGEL-Affäre12 von 1962 führte zu ernsten Bedenken in der FDP, ob Adenauer


9 Das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 zwischen den alliierten Kontrollmächten und Bundeskanzler Konrad Adenauer regelte die Grundlagen der künftigen beiderseitigen Beziehungen und regelte u.a. den Beitritt der BRD zum Ruhrstatut (Internationale Kontrolle des Ruhrgebiets), die künftige Aufnahme der BRD in verschiedene internationale Organisationen, die Anwendung des Marshallplans, die schrittweise Aufnahme konsularischer Auslands- und Wirtschaftskontakte, ein Bekenntnis zu demokratischen Grundwerten und Abschwur vom Totalitarismus und die formelle Ablehnung einer eventuellen Wiederaufrüstung.

„III. Die Bundesregierung erklärt ferner ihre feste Entschlossenheit, die Entmilitarisierung des Bundesgebiets aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung mit der Hohen Kommission auf dem Gebiet des Militärischen Sicherheitsamts eng zusammenarbeiten.“ BUNDESANZEIGER, 1. Jg. Nr. 28 vom 26. November 1949, S. 1., in https://www.konrad-adenauer.de/dokumente/vertraege/1949-11-22-petersberger-abkommen [02.10.2018, 16:00 Uhr].

10 Adenauers Begründung war das alleine in der BRD eine frei gewählte Regierung im Amt sei.

11 Im Dezember 1955 wurde unter der Leitung des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer die „Hallstein-Doktrin“ formuliert, benannt nach, aber nicht zurückgehend auf Walter Hallstein, Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA). Sie besagte, dass die BRD diplomatische Kontakte mit jedem Land abbreche, dass die DDR als autonomes Land anerkenne. Eine Ausnahme aus dieser Doktrin wurde vorerst nur der Sowjetunion gewährt, die mit der DDR diplomatische Beziehungen im September 1955 aufgebaut hatte. Die Grundlage der „Hallstein-Doktrin“ war der Anspruch der BRD auf die völkerrechtliche Alleinvertretung ganz Deutschlands. Die Doktrin fand genau zweimal ihren Einsatz, auf die Beziehungen mit Jugoslawien 1957 und Kuba 1963.

12 Ein kritischer Artikel des SPIEGELS in der Ausgabe 41/1962 vom 10. Oktober diskutierte die Ergebnisse des NATO-Manövers „Fallex 62“ im Herbst des gleichen Jahres. Der Artikel lieferte dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) den Vorwand – wegen angeblichen Landesverrates – Journalisten des SPIEGELS fest nehmen zu lassen und das Redaktionsgebäude zu durchsuchen. Die nachfolgende rechtliche Aufarbeitung erwies die Unschuld des Magazins und resultierte im Rücktritt sowohl von Strauß als auch zwei Staatssekretären. Die Autorität Adenauers, der den Skandal forciert hatte, litt stark im Verlauf der Affäre, vor allem wegen harscher Kritik des Koalitionspartners FDP, die Augstein und dem Spiegel nahestand. Faksimile des Artikels: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/25673830


abgelöst werden sollte – auch sahen die Liberalen ihre Existenz durch Pläne der Union und SPD bedroht, das Mehrheitswahlrecht einzuführen und sie so auszuschalten.

Die CDU/CSU/FDP Koalition im Bundestag brach ob der Frage einer generellen Steuererhöhung Ende 1966 zusammen. Union und SPD bildeten ab 1. Dezember 1966 eine Große Koalition, was die parlamentarische Opposition auf die FDP reduzierte. Obwohl die Große Koalition infolge ihrer Mehrheit stabil war und auch viel legislative Arbeit leistete, so in einer neuen grundgesetzlichen Finanzverfassung, bestand sie nur bis 1969.

2.2 Kultureller Wertewandel in Deutschland

Seit dem Ende der 1950er Jahre hatte sich in Deutschland ein kultureller und sozialer Wertewandel angekündigt. Das konservative Deutschland Adenauers begann sich langsam zu verändern – im Wesentlichen ausgehend von der Jugend. Die junge Generation übernahm das Ruder der Entwicklung in Literatur, Kunst, Musik und Lebensplanung – zu nennen wären die „Beat Generation“ der amerikanischen Schriftsteller, die alternative Lebenseinstellungen propagierten, die Anti-Baby-Pille, der die Aufklärungs- und Sexwelle folgte, der Erfolg der Pop- und Rockmusik der Beatles, Rolling Stones und vieler anderer Interpreten, und Filme wie „Easy Rider“ die nicht zuletzt die Popularisierung bewusstseinserweiternder Drogen unterstützten. Verbreitet zuerst in der Jugend und unter Studenten, schlossen sich in den 60er Jahren viele Bürger der Meinung an das einiges faul sei im Staate Dänemark.13

Eine in gewissen Teilen der Bevölkerung vorhandene und in anderen Teilen langsam wachsende latente Unzufriedenheit mit dem Status Quo kristallisierte sich in der Zeit der Großen Koalition in der Form der APO heraus – der Außerparlamentarischen Opposition. Politisch bzw. parlamentarisch gesehen war sie eine Reaktion auf die Dominanz – und Arroganz – der Großen Koalition und die zahlenmäßige Unterlegenheit der neunundvierzig FDP – Abgeordneten.

Kulturell gesehen lagen ihre Wurzeln jedoch in dem angesprochenen Wertewandel – weg von der autoritären Vater-Politik der Unionsära.


13 William Shakespeare, Hamlet, “Etwas ist faul im Staate Dänemark!” – 1. Akt, 4. Szene – gesagt von Marcellus (Original engl. “Something is rotten in the state of Denmark.”) THE ROYAL SHAKESPEARE COMPANY: William Shakespeare – Complete Works, The Modern Library, New York, 2007, 1. Auflage, Seite 1938.


Ihre politische Argumentation richtete sich vor allem gegen die geplanten Notstandsgesetze und auf Forderungen nach mehr Demokratisierung und Liberalität – der kulturelle Impetus, zuerst hauptsächlich von Studenten getragen, schuf eine langsam wachsende politische Erwartungshaltung in der deutschen Bevölkerung.

3. Wege zur neuen Ostpolitik

3.1. Ausbruch aus der Stagnation

Zwischen der Potsdamer Konferenz und dem Jahr 1969 gab es wenige nennenswerte diplomatische Entwicklungen. Der wesentliche Hemmstein ostpolitischer Aktivitäten war die beiderseits kategorische Weigerung der Alliierten, inmitten des Kalten Krieges irgendwelche vertraglichen Bindungen einzugehen, die die ungelösten Fragen des Status Deutschlands bzw. der nun existierenden zwei deutschen Verwaltungsgebiete, der polnischen Westgrenze und der allgemeinen diplomatischen Lage völkerrechtlich präjudizieren könnten. Es bestand, aus Sicht der BRD aus, nach 1949 ein Zustand völliger offizieller Beziehungslosigkeit zum sowjetisch kontrollierten Osteuropa – Entscheidungen wurden in Washington, Paris und London getroffen, nicht in Bonn.

Jedoch sorgte die normative Kraft des Faktischen bald für Bewegung. Ein gewisser Interzonenhandel zwischen Ost und West erwies sich schon aus praktischen Erwägungen heraus als unumgänglich. Transfers von Waren und Dienstleistungen zwischen den Besatzungszonen der Alliierten fanden jedoch in rechtlichen Grauzonen statt. Völkerrechtlich zu Handel befugt waren lediglich die Militärregierungen der Besatzungszonen untereinander – direkt bzw. durch geeignete lokale Vertreter. Alles andere passierte mehr oder weniger unter dem Radar – streng geheim.

Der Schwarzhandel begann verständlicherweise im Sektor Lebensmittel, weitete sich rasch aus und – wurde von den Militärregierungen meist nur pro forma verfolgt. Dreiecksgeschäfte, die vor allem bei Embargos des Westens, z.B. auf Beschlüsse der CoCom14 hin, über den Handel mit neutralen Drittstaaten wie z.B. Österreich, Schweiz, und Dänemark abgewickelt werden konnten, wurden gerne benutzt, um Fragen der Legalität aus dem Weg zu gehen. Das Wort „Interzonenhandel“ selbst blieb jedoch Tabu, bis die wirtschaftlichen Notwendigkeiten die halboffizielle Einführung eines bilateralen Handelsrahmens


14 Das „Coordinating Committee for Multilateral Export Controls”, `CoCom`, war bis 1994 die Alliierte Behörde zur Kontrolle des Exports von Rüstungs- bzw. Dual-Use-Gütern.


erforderte.15, dessen vertragliche Grundlage das Frankfurter Abkommen vom 8. Oktober 1949 bildete. Obwohl nur von halboffiziellem Charakter, blieb die dadurch geschaffene Treuhandstelle als Gesprächsplattform wichtig.16

Der Berliner Mauerbau des 13. August 1961 brachte nicht nur eine temporäre Behinderung des Warenaustausches mit sich sondern beendete achtundzwanzig Monate lang auch sämtliche persönliche Kontakte zwischen den Ost- und Westsektoren der Stadt. Diesem Zustand wurde ab 17.12.1963 mit der Unterzeichnung eines Passierscheinabkommens zwischen dem Senat von Berlin (West) und der Regierung der DDR temporär abgeholfen.17

Die Hallstein-Doktrin verblieb das diplomatische Haupthindernis, Bei deutschen Außenpolitikern, nämlich Außenminister Gerhard Schröder (CDU), reifte die Idee, deutsche „Handelsmissionen“ im Osten einzurichten, um die Doktrin geschickt zu umgehen. Man hoffte durch die Eröffnung solcher Missionen eines Tages mehrjährige Handelsabkommen abschließen zu können, wobei man sicherlich auf einen normativen Effekt spekulierte – einen Anfang zu machen, der zwar nicht die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen bedeutete, aber neue Möglichkeiten für Kontakte eröffnete. Das Problem jedoch blieb dass die besonderen Beziehungen Osteuropas zur DDR und UdSSR in Bezug auf die Hallstein-Doktrin total verkannt wurde – als Jugoslawien die DDR 1957 anerkannte, schloss die BRD prompt ihre Botschaft in Belgrad, was den vorherigen normalen Beziehungen zu dem Land den Todesstoß versetzte und in Warschau, Prag, Budapest und Bukarest übel vermerkt wurde. Die Idee, auf diese Weise zu besseren


15 Die erste Übereinkunft war das Frankfurter Abkommen vom 8. Oktober 1949. Es wurden beiderseits umfangreiche und detaillierte Warenlisten aufgestellt und von west- und ostdeutschen Unternehmen im darauf folgenden Kalenderjahr ausgetauscht. Der Nachteil des Verfahrens war das jedes Jahr alles neu verhandelt werden musste. Aus praktischen Erwägungen vereinbarten beide Seiten darauf in einem revidierten Berliner Abkommen vom 20. September 1951 einen dauerhaften Vertragsrahmen, der künftig nur noch die jährlichen Warenlisten zum Verhandlungsgegenstand machte. Ab 16. August 1960 wurden nach erneuter Revision nur noch die jeweils zu ändernden Posten verhandelt. Das Berliner Abkommen hatte bis zum Ende der DDR 1991 Bestand.

16 „Rund zwei Jahrzehnte lang verlief der einzige kontinuierlich offene Kommunikationskanal zwischen Bonn und Ost-Berlin über die Routinegespräche des innerdeutschen Handels. Über ihn wurden bis 1969 nahezu alle deutschlandpolitischen Themen zumindest zur Sprache gebracht, was seine enorme Bedeutung unterstreicht.“ FÄßLER ,PETER E.: Innerdeutscher Handel als Wegbereiter der Entspannungspolitik, BPB Bundeszentrale für Politische Bildung 2007, http://www.bpb.de/apuz/30717/innerdeutscher-handel-als-wegbereiter-der- entspannungspolitik?p=all“, Seite 3, [01.10.2018, 12:00 Uhr].

17 Das Abkommen ermöglichte Besuche von Westberlinern im Osten (nicht umgekehrt!) und ca. 700.000 Bürger nutzten die Gelegenheit. Ein zweites Passierscheinabkommen vom 24. September 1964 galt vom 30. Oktober bis 12. November 1964, über Weihnachten/Neujahr 1964/1965 sowie zu Ostern und zu Pfingsten 1965 – ein drittes Abkommen vom 25. November 1965 für die Zeit vom 18. Dezember 1965 bis2. Januar 1966 und ein viertes Abkommen, vom 7. März 1966, für Ostern und Pfingsten 1966 (vom 7. bis 20. April und 23. Mai bis 5. Juni). Danach gab es bis 1972 keine weiteren Abkommen.


Kontakten zur DDR zu gelangen, verlief im Sand.

Durch die Gründung der Großen Koalition in Bonn am 1. Dezember 1966 und die Bestallungen von Willy Brandt zum Außenminister und Herbert Wehner zum Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen (beide SPD) wurde eine gewisse neue Flexibilität in der Ostpolitik unausweichlich. Die Große Koalition definierte ihre Ziele in einer großen Regierungserklärung des neuen Kanzlers Kurt Georg Kiesingers am 13. Dezember 1966. Martin Winkels fasst diese in seiner Dissertation „Die Deutschland- und Ostpolitik der ersten Großen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland (1966- 1969)“ wie folgt zusammen:

„Im außenpolitischen Teil von Kiesingers  Regierungserklärung  war  das Bestreben nach Kontinuität zu den Vorgängerregierungen  ebenso erkennbar wie  die neue Konzeption des auf außenpolitischen Wandel bedachten sozialdemokratischen Koalitionspartners. Grundlage war hier das Acht-Punkte-Programm der SPD, das im November als Ausgangsbasis für die Koalitionsverhandlungen fungiert hatte. Besonders der Einfluss Brandts und Wehners  war  in  der  Regierungserklärung  spürbar.  Brandt  hatte  am 6. Dezember Vorschläge zur Regierungserklärung mit folgenden Punkten an Kiesinger geschickt: Rüstungsminderung, konsequente Friedenspolitik, Verzicht auf Atomwaffen, das Bekenntnis zur atlantischen Allianz und die Ausführung, dass zwischen der Teilung Europas und der Teilung Deutschlands eine Abhängigkeit bestehe.“18

Obwohl Kiesingers Erklärungen deutliche Offerten enthielten, die bisherige Politik zu überdenken, und Gerhard Schröder19 schon gegen Mitte der 60er Jahre die sogenannte „Geburtsfehlerdoktrin“ entwickelt hatte, kam der Impetus zu dem tatsächlichen ostpolitischen Wechsel klar von der SPD.

Es schienen Fortschritte erzielt worden zu sein, als am Anfang des Jahres 1967 diplomatische Beziehungen zwischen der BRD und Rumänien aufgenommen wurden. Dies wurde jedoch von der DDR als „Hannibal ante portas“20 verstanden und der Staatsratsvorsitzende der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht, entwickelte als Antwort seine sogenannte Ulbricht-Doktrin, die einer aktiveren


18 WINKELS, MARTIN: Die Deutschland- und Ostpolitik der ersten Großen Koalition in der Bundesrepu- blik Deutschland (1966-1969), Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophi- schen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, verlegt ebenda 2009, Seite 70.

19 Außenminister seit 1961; die Doktrin besagte dass man ruhig diplomatische Beziehungen mit denjenigen Staaten des Warschauer Paktes aufnehmen könne, welche die DDR auf Druck der UdSSR hin hatten anerkennen müssen – ein „Geburtsfehler“, für den sie nichts könnten.

20 Nach Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), römischer Staatsmann, in den „Philippinischen Reden“ und „De finibus bonorum et malorum“ – Ausdruck unmittelbar drohender Gefahr.


Ostpolitik der BRD vorbeugen sollte.21 Neuere Entwicklungen in der BRD als auch das wirtschaftliche Interesse anderer Ostblockstaaten an verbesserten Beziehungen zu Westdeutschland relegierten diese Doktrin jedoch schnell zu praktischer Bedeutungslosigkeit.

3. 2. Konzeptionen einer neuen Ostpolitik

Die oben angeführten, eher zaghaften ostpolitischen Annäherungen der Union waren der Preis für die Große Koalition – es wird oft übersehen dass schon nach der Bundestagswahl 1965 eine sozialliberale Koalition mit 251 zu 245 Sitzen rechnerisch möglich war. Der wahre Schatten am Horizont war jedoch der Aufstieg der NPD, welcher zugetraut wurde, 1969 in den Bundestag einzuziehen. Der entscheidende Impetus kam jedoch deutlich aus der SPD, geographisch gesehen aus Berlin, und personell- konzeptionell in der Hauptsache durch Egon Bahr und Willy Brandt (relevante Kurzbiographien siehe 22).

Egon Bahr

Die öffentliche Geburt der neuen Ostpolitik lässt sich im Wesentlichen auf zwei Vorträge zurückführen, die Egon Bahr und Willy Brandt am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See abhielten, betitelt „Wandel durch Annäherung“ (Bahr) und „Denk´ Ich an Deutschland“ (Brandt).23 Bahr beschrieb seine grundsätzlichen Überlegungen wie folgt:


21 „Mit Ulbricht-Doktrin wird eine außenpolitische Haltung der DDR von 1967 bezeichnet, gemäß der Mitglieder des Warschauer Paktes ihre Beziehungen zur Bundesrepublik solange nicht normalisieren durften, bis die Bundesrepublik normale Beziehungen zur DDR aufgenommen hatte. Die Ulbricht-Doktrin war eine Antwort auf die Bemühungen der Bundesrepublik, trotz Aufrechterhaltung ihres Alleinvertretungsanspruches eine aktive Ostpolitik zu betreiben, was sich zunächst in der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu Rumänien anfangs des Jahres 1967 äußerte.“ SCHÖLLGEN, GREGOR: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Verlag C.H.Beck München, 3. Auflage 2004, Seite 88, http://www.lexexakt.de/index.php/glossar/ulbrichtdoktrin.php [02.10.2018, 16:00 Uhr].

22 Egon Karl-Heinz Bahr, SPD (* 18. März 1922 in Treffurt, Landkreis Mühlhausen., Sachsen; 19. August 2015 in Berlin), von 1960 bis 1966 Leiter des Berliner Presse- und Informationsamtes und Sprecher des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt, ab 1966 Leiter des Politischen Planungsstabes im Auswärtigen Amt und wichtigster Zuarbeiter des neuen Außenministers Brandt. Ab 1969 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, von 1972 bis 1974 Bundesminister für besondere Aufgaben, danach von 1974 bis 1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Willy Brandt, SPD (* 18. Dezember 1913 in Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm; † 8. Oktober 1992 in Unkel), als erklärter Gegner der Nazis von 1933 bis 1945 im Exil. Ab 1949 als Abgeordneter der Berliner SPD im Bundestag. 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister Berlins, 1966 bis 1969 Außenminister und Vizekanzler in der Großen Union aus SPD, CDU und CSU, 1969 bis 1974 Bundeskanzler einer SPD/FDP Koalition, 1964 bis 1987 Vorsitzender der SPD, 1976 bis 1992 Präsident der Sozialistischen Internationale.

23 Komplette Texte beider Reden: Palatine, J.V.: Texte und Dokumente zur deutschen Geschichte ab 1871, https://jvpalatine.wixsite.com/deutsche-geschichte/ostpolitik [04.10.2018, 18:15 Uhr].


  1. Eine grundsätzliche Änderung der Ostpolitik, deren Ziel letztendlich in der Wiedervereinigung Deutschlands bestünde, ist nur mit der UdSSR, nicht gegen sie, möglich. Die kommunistische Herrschaft ist nicht zu beseitigen, wohl aber zu verändern.24
  2. Bilaterale bzw. trilaterale Gespräche (BRD, UdSSR und DDR) müssen keineswegs per se völkerrechtliche Präjudizierung bedeuten.25 Die Hallstein- Doktrin sei zu unflexibel.

„Ich komme zu dem Ergebnis, dass sich unterhalb der juristischen Anerkennung, unterhalb der bestätigten Legitimität dieses Zwangsregimes bei uns so viel eingebürgert hat, dass es möglich sein muss, diese Formen auch gegebenenfalls in einem für uns günstigen Sinne zu benutzen. Wenn Dr. Leopold 26 oder ein anderer zum Chef einer Behörde gemacht würde, die sich nicht nur mit den Fragen des Interzonenhandels beschäftigt, sondern mit allen Fragen, die zwischen den beiden Teilen Deutschlands von praktischem Interesse sind, dann würde ich darin um so weniger eine substantielle Änderung der heutigen Situation erblicken können, als die Treuhandstelle für den Interzonenhandel ja auch schon bisher nicht ausschließlich Handelsfragen besprochen hat.“27

  • Das Beispiel der USA (u.a. deren Kredite an Polen) zeige deutlich dass verstärkte Handelsbeziehungen und daraus resultierende verbesserte Lebensbedingungen im Osten entspannende Wirkung haben. Dies werde oft als fehlgeleitete Erfüllungspolitik verunglimpft, sei aber der einzig praktikable Weg.28

24 „Die erste Folgerung, die sich aus einer Übertragung der Strategie des Friedens auf Deutschland ergibt, ist, dass die Politik des Alles oder Nichts ausscheidet. Entweder freie Wahlen oder gar nicht, entweder gesamtdeutsche Entscheidungsfreiheit oder ein hartes Nein, entweder Wahlen als erster Schritt oder Ablehnung, das alles ist nicht nur hoffnungslos antiquiert und unwirklich, sondern in einer Strategie des Friedens auch sinnlos. Heute ist klar, dass die Wiedervereinigung nicht ein einmaliger Akt ist, der durch einen historischen Beschluss an einem historischen Tag auf einer historischen Konferenz ins Werk gesetzt wird, sondern ein Prozess mit vielen Schritten und vielen Stationen.

Wenn es richtig ist, was Kennedy sagte, dass man auch die Interessen der anderen Seite anerkennen und berücksichtigen müsse, so ist es sicher für die Sowjet-Union unmöglich, sich die Zone zum Zwecke einer Verstärkung des westlichen Potenzials entreißen zu lassen. Die Zone muss mit Zustimmung der Sowjets transformiert werden. Wenn wir so weit wären, hätten wir einen großen Schritt zur Wiedervereinigung getan. … Wenn es richtig ist, und ich glaube, es ist richtig, dass die Zone dem sowjetischen Einflussbereich nicht entrissen werden kann, dann ergibt sich daraus, dass jede Politik zum direkten Sturz des Regimes drüben aussichtslos ist.“ BAHR: Wandel durch Annäherung, S. 1-2.

25 Bahr führt u.a. das Beispiel der jahrelangen Gespräche zwischen den USA und China in Genf und Warschau an, als auch die existierenden Transitregelungen und die Realität des Interzonenhandels. Siehe BAHR: Wandel durch Annäherung, S. 2-3.

26 Dr. Kurt Leopold, Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel.

27 BAHR: Wandel durch Annäherung, S. 3.

28 „Den Prozess zur Hebung des Lebensstandards zu beschleunigen, weil sich dadurch Erleichterungen mannigfacher Art für die Menschen und durch verstärkte Wirtschaftsbeziehungen verstärkte Bindungen ergeben können, würde demnach in unserem Interesse liegen. Man könnte die Sorge haben, dass dann die Unzufriedenheit unserer Landsleute etwas nachlässt. Aber eben das ist erwünscht, denn das ist eine weitere Voraussetzung dafür, dass in dem Prozess zur Wiedervereinigung ein Element wegfallen würde, das zu unkontrollierbaren Entwicklungen führen könnte und damit zu zwangsläufigen Rückschlägen führen müsste. Man könnte sagen, das Regime würde dadurch gestützt, aber ich habe eben zu entwickeln versucht, dass es keinen praktikablen Weg über den Sturz des Regimes gibt. Ich sehe nur den schmalen Weg der Erleichterung für die Menschen in so homöopathischen Dosen, dass sich daraus nicht die Gefahr eines revolutionären Umschlags ergibt, die das sowjetische Eingreifen aus sowjetischem Interesse zwangsläufig auslösen würde.“ BAHR: Wandel durch Annäherung, S. 4.


Der gelernte Außenpolitiker Willy Brandt eröffnete seine Betrachtungen mit der geradezu irrealen Erwartungshaltung der NATO-Verbündeten   an die Rolle Deutschlands: „Die Bundesrepublik sollte militärisch stark genug werden, um die Sowjetunion in Schach zu halten, aber militärisch nicht gefährlicher als Luxemburg.29 Aufgrund der jüngsten deutschen Geschichte sei es für die UdSSR leicht, die BRD im Ausland als quasi-Nachfolgerin Hitler-Deutschlands darzustellen und mit vordergründig antifaschistischer Politik Pluspunkte einzufahren. Ein gewisses Misstrauen ob der tatsächlichen Ziele Westdeutschlands müsse überwunden werden – an erster Stelle durch die Westdeutschen selbst.30 Es sei unumgänglich zu verstehen „dass es eine der großen Aufgaben der kommenden Jahre sein wird, die Basis des Vertrauens, das Deutschland draußen entgegengebracht wird, zu verbreitern und zu vertiefen.“ Der erste Schlüssel zu Veränderung wäre also Selbstkritik.   Der   Slogan   der   Adenauer-Zeit – „Keine Experimente“ – müsse dringend überdacht werden, denn die unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolge der BRD hatten zu innenpolitischer Selbstgefälligkeit und erheblicher außenpolitischer Paralyse geführt.

Die Politik Adenauers habe zu einem innenpolitischen Freund-Feind-Verhältnis zwischen den Parteien geführt – die „notwendige und mögliche Gemeinsamkeit der demokratischen Parteien blieb lange Zeit auf einem Antikommunismus beschränkt, dem die konstruktiven Züge fehlten, und er wurde ansonsten dem innenpolitischen Schema des pro und contra geopfert. In Wahrheit hat sich die außenpolitische Wirklichkeit der Bundesrepublik verändert und wird diesem Schema nicht mehr gerecht.“ 31 32


29 BRANDT: Denk´ Ich an Deutschland, S.1., siehe PALATINE, J.V.,23 25

30 „Es hat keine deutsche Selbstreinigung gegeben, und es hat die Kraft gefehlt, das Volk in aller sachlichen Härte und menschlichen Offenheit mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Nicht, damit wir diese Vergangenheit im missverständlichen Sinne dieses Wortes bewältigen, sondern damit unser Volk seine Geschichte auch mit ihren Tiefen als Einheit begreift. Als Einheit, der man nicht entfliehen kann, sondern die  man tragen  muss     Den Frieden  mit  sich selbst zu  machen, ist unserem Volk  bisher  nicht gelungen. Wir haben alte Gräben noch nicht zugeschüttet, und man ging munter  daran, neue auszuheben. … Bundeskanzler Adenauer hat es verstanden, durch persönliche Autorität und durch Ansehen, das er sich selbst erwarb, Vertrauen in der Welt zu gewinnen. Er hat es kaum verstanden, dieses Vertrauen auf das deutsche Volk zu übertragen.“ BRANDT: Denk´ Ich an Deutschland, S. 2.

31 BRANDT: Denk´ Ich an Deutschland, Seite 8.

32 Das Junktim zwischen deutscher Ostpolitik und den Veränderungen der globalen Außenpolitik nach 1963 wurde durchaus erkannt, auch von Schröder und Kiesinger. Die Kuba-Krise hatte in Ost und West zu Umdenken geführt.


Letztendlich hätte man sich eines Tages der Wirklichkeit zu stellen:

„Dabei wird die außenpolitische Wirklichkeit schneller sichtbar als die innenpolitische. Für die deutsche Außenpolitik galt als oberstes Prinzip die Sicherung des Restes. Dieses Prinzip ist das beherrschende Dogma gewesen, auch wenn man es in keiner Regierungserklärung nachlesen kann. Alles andere wurde ihm untergeordnet.

Nun, die Sicherung des freien Restes war erforderlich. Ich sage das als nüchterne Feststellung. Die Aussöhnung mit den ehemaligen Gegnern im Westen, die Einbeziehung in die westliche Gemeinschaft waren die unerlässlichen Mittel einer solchen Politik. Der Kanzler stellte sich dabei auf den Standpunkt, dass es auf ein paar Schönheitsfehler nicht an-komme, dass deutsche Vorleistungen sich zuletzt als deutsche Pluspunkte erweisen würden und dass die deutsche Einheit sich mit einer gewissen Folgerichtigkeit dann auch einstellen würde. Aber ohne jeden Zweifel wurde das Ringen um Selbstbestimmung für das ganze Volk der Sicherung des freien Teils nachgeordnet. … In Wirklichkeit geht es um die simple Erkenntnis, dass es keine andere Aussicht auf die friedliche Wiedervereinigung unseres Volkes gibt als den nicht erlahmenden Versuch, die Erstarrung der Fronten zwischen Ost und West aufzubrechen. Gerade weil das Deutschlandproblem so sehr in das Verhältnis zwischen Ost und West eingebettet ist, gibt es für uns keine Hoffnung, wenn es keinen Wandel gibt.“ BRANDT: Denk´ Ich an Deutschland, S. 9.

Zusammenfassend zitierte Brandt aus seinem Vortrag im Oktober 1962 an der Universität Harvard:

„Wir haben die Formen zu suchen, die die Blöcke von heute überlagern und durchdringen. Wir brauchen so viel reale Berührungspunkte und so viel sinnvolle Kommunikationen wie möglich. Wir brauchen uns vor dem Austausch von Wissenschaftlern und Studenten, von Informationen, Ideen und Leistungen nicht zu fürchten. Entscheidend sollte für uns sein, dass es sich um vernünftige Vorhaben in verantwortlichen Formen handelt. Insoweit bin ich für so viele sinnvolle Verbindungen auch zum kommunistischen Osten, wie jeweils erreichbar sind. Eine solche Konzeption kann zu einer Transformation der anderen Seite beitragen. Das verstehe ich unter einer aktiven, friedlichen und demokratischen Politik der Koexistenz. Wir sollten uns darauf konzentrieren, eine Entwicklung zu unterstützen, die uns mehr verspricht als bloße Selbstbehauptung, die dazu beitragen kann, eine friedliche und dynamische Transformation zu fördern. … Es geht um eine Politik der Transformation. Wirkliche, politische und ideologische Mauern müssen ohne Konflikt nach und nach abgetragen werden. Es geht um eine Politik der friedlichen Veränderung des Konfliktes, um eine Politik der Durchdringung, eine Politik des friedlichen Risikos; des Risikos deshalb, weil bei dem Wunsch, den Konflikt zu transformieren, wir selbst für die Einwirkung der anderen Seite auch offen sind und sein müssen.“ BRANDT: Denk´ Ich an Deutschland, S. 11.

Wie wohl kaum anders zu erwarten, wurden die Vorstöße Bahrs und Brandts von der damaligen Regierung aus Union und FDP als Landesverrat geschmäht, welcher die deutsche Wiedervereinigung nicht nur nicht fördere sondern in Wirklichkeit behindere. Erste Einbrüche in der Ablehnungsfront der Union entstanden nach der Ablösung des Bundeskanzlers Adenauers durch Ludwig Erhard, der kein großer Außenpolitiker war.

Die eventuellen Eröffnungen der von Schröder vorangetriebenen Handelsmissionen im Ostblock und die von der Großen Koalition abgesegnete Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien am 31. Januar 1967 waren Ausdruck eines Aufweichens der Union, das in der Tat soweit führte dass – ungern zugegeben und oft verdrängt – die CDU ab Mitte 1969 bereits prinzipiell auf die Linie der SPD umgeschwenkt war.33

3. 3. Konkretisierung und Konsolidierung nach der Wahl von 1969

In der Bundestagswahl vom 28. September 1969 erhielt die SPD 224 Mandate, die CDU 193, die CSU 49 und die FDP 30.34 Die neue Regierung wurde von SPD und FDP mit der Unterstützung von 254 Abgeordneten gegenüber den 242 der Union gebildet. Die Außen- und Deutschlandpolitik wurde federführend von Bundeskanzler Willy Brandt, dem neuen Außenminister Walter Scheel (FDP) und Egon Franke als neuer Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen35 übernommen.

In den Koalitionsrunden unter maßgeblicher Beteiligung des designierten neuen Außenministers Walter Scheel (FDP) bildeten sich folgende fünf Ansätze zur ostpolitischen Erneuerung aus:


33 Dass auch Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und seine Partei bzw. Fraktion, die CDU/CSU, bereit waren, am Ende von Gewaltverzichtsverhandlungen mit Moskau ebenfalls mit der DDR einen entsprechenden Vertrag abzuschließen, und dass sie dies auch öffentlich erklärten, wurde später häufig verdrängt, ist aber eindeutig belegt, u.a. in der  Regierungserklärung vom 25. April 1969; in der Rede  von Baron Olaf von Wrangel (CDU/CSU) im Bundestag am selben Tag; und im Bericht von Bundeskanzler Kiesinger zur Lage der Nation vom 17. Juni 1969. In diesem Bericht bekräftigte Bundeskanzler Kiesinger die Erklärung seiner Regierung, “dass auch der Abschluss eines Vertrages zur Regelung der innerdeutschen Beziehungen für eine Übergangszeit nicht ausgeschlossen sei.“ LINK, WERNER: Die Entstehung des Moskauer Vertrages im  Lichte  neuer  Archivalien,  (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 2, Jahrgang 49, 2001, S. 298) Institut für Zeitgeschichte, München,   Verlag De Gruyter, Oldenbourg,   2001, https://www.ifz- muenchen.de/heftarchiv/2001_2_4_link.pdf [10.10.2018, 19:00 Uhr]

34 Ohne nichtstimmberechtigte Berliner Abgeordnete.

35 Namensänderung, bis 1969 “Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG)“, Vorgänger Herbert Wehner.


  1. Die Hallstein-Doktrin wie auch der Alleinvertretungsanspruch der BRD entsprächen nicht mehr den internationalen Realitäten und müssen aufgegeben werden.
  2. Man könne die DDR zwar nicht völkerrechtlich,36 jedoch staatsrechtlich als einer der „zwei Staaten in Deutschland“, d.h. („füreinander nicht Ausland“) im Sinne einer gemeinsamen Nation anerkennen.37
  3. Daher müsse man die DDR aktiv in eine neue Phase von Entspannungspolitik einbetten.
  4. Als Vorleistung werde die BRD noch 1969 dem Atomwaffensperrvertrag beitreten.
  5. Die Idee der vom Warschauer Pakt mehrmals vorgeschlagenen „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) werde von der BRD unterstützt und das Gremium solle sich schnellstmöglich konstituieren.

3. 4. Von der Theorie zur Praxis

In erster Annäherung spielt sich Interessenpolitik zwischen Staaten im Spannungsfeld zwischen Geographie und Wirtschaft ab.38 Egon Bahr war sich des Junktims zwischen ostpolitischen Entfaltungsmöglichkeiten und dem weltpolitischen Trend zu mehr Détente – unter dem Eindruck der Kuba-Krise – wohl bewusst.39 Man müsse zuerst in Moskau vorsprechen und erst dann könne man zu einer bilateralen, deutsch-deutschen Phase übergehen (was schon der Großen Koalition klar gewesen war).40


36 Jeder übergreifenden völkerrechtlichen Regelung standen die Alliierten Kontrollrechte im Weg.

37 BUNDESKANZLER WILLY BRANDT STIFTUNG: Erklärung der Bundesregierung vom 28. Oktober 1969, https://www.willy-brandt.de/fileadmin/brandt/Downloads/Regierungserklaerung_Willy_Brandt_1969.pdf [09.10.2018, 15:00 Uhr]

38 “In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.” RIEMER, SEBASTIAN (RHEIN-NECKAR-ZEITUNG): Egon Bahr schockt die Schüler: “Es kann Krieg geben“, Egon Bahr am 3. Dezember 2013 vor Schülern in der Ebert-Gedenkstätte Heidelberg, 4.12.2013. (https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-Heidelberg-Egon-Bahr-schockt-die-Schueler-Es- kann-Krieg-geben-_arid,18921.html ) [10.10.2018, 18:30 Uhr]

39 „In einer  grundlegenden  Denkschrift  vom  18. September  1969  (die  in  gekürzter Form – datiert  vom 1. Oktober – Gegenstand der späteren Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und FDP wurde) argumentierte Egon Bahr: Die Bundesrepublik Deutschland sei `noch mehr als  andere  Staaten  gegenüber Tendenzen der Weltpolitik empfindlich; sie muss die politische Landschaft, in der sich ihre Außenpolitik zu bewegen hat, sorgfältig  beobachten,  um  ihre  eigenen  Ziele  verwirklichen  zu  können; sie muss versuchen, nach Möglichkeit nicht gegen, sondern mit dem politischen Wind zu operieren.´ In dem Unterkapitel über die Deutschland- und Osteuropapolitik hieß es dann wörtlich:„Die Notwendigkeit wächst, sich dieser Lage anzupassen [!], ohne das Ziel der Wiedervereinigung aufzugeben.” LINK,, a.a.O., Seite 297, siehe 34

40 „Die Große Koalition führte auch bereits streng vertrauliche Gespräche mit der sowjetischen Regierung über den Austausch von Gewaltverzichtserklärungen, wobei man bei der kritischen Frage, wie die DDR einzubeziehen sei, ein gutes Stück vorankam. Die Gesprächspartner waren deutscherseits die Staatssekretäre Carstens, Klaus Schütz und später Georg Ferdinand Duckwitz und sowjetischerseits Botschafter Semjon Konstantinowitsch Zarapkin. Bahr konnte 1972 die SPD-Fraktion zutreffend darauf hinweisen, dass `die Gespräche über den Gewaltverzicht bereits zwei Jahre liefen´, bevor er sie in  Moskau fortsetzte.“ LINK, a.a.O., Seite 300, siehe 34 und 40


In diesem Rahmen fehlt freilich der Platz um auf Einzelheiten der Verhandlungen einzugehen – der respektive Band des Bundesarchivs (nur Deutschlandpolitik) umfasst 1114 Seiten alleine für die Zeit vom 21.Oktober 1969 bis 31.12.1970.41 Karl Seidel, ZK- Mitglied der DDR, erinnerte sich an 75 lange Verhandlungsrunden zwischen 1971 und 1972.42

Ein Dokument jedoch wirft ein Schlaglicht auf die Abläufe – sowohl die offensichtlichen als auch die weniger offensichtlichen – eines das zum Dreh- und Angelpunkt weniger der Diplomatie wurde, in der es entstand, sondern durch die Hebelwirkung, die sein Bekanntwerden auslöste.

Wie bei allen diplomatischen Konferenzen erfolgt vor dem eigentlichen Kuhhandel sozusagen die Absteckung der Claims, die Definition der Grundlagen. So auch in Moskau. In der Regierungserklärung vom 28 Oktober 1969 hatte Brandt von zwei deutschen Staaten gesprochen, und am 28.November des Jahres den Vertrag über die Nichtverbreitung nuklearer Waffen unterzeichnet – also Vorleistungen erbracht.

Egon  Bahr  hatte  die  Forderung  des  Ostblocks  nach  der  o.a.  KSZE  (damals  ESK -„Europäische Sicherheitskonferenz“ genannt) als einen „Hebel“ für die BRD identifiziert – der alleine jedoch kaum ausreiche. Nicht an schriftliche Weisungen Brandts oder Scheels gebunden, sah Bahr voraus dass nur ein von der BRD (d.h. von ihm selbst) erstelltes, ausgeweitetes Konzept, d.h. das Angebot einer umfassenden Lösung, bei der UdSSR ein Überdenken der eigenen Position auslösen könne. In seinen ersten Gesprächen mit Gromyko testete er die Wasser.43 Nach einigem Hin und Her – wie Werner Link auf Seiten 304-05 beschreibt –


41 BDI (Hrsg.): Dokumente zur Deutschlandpolitik, https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Aus-unserer-Arbeit/dokumente-zur- deutschlandpolitik-vi1.pdf? blob=publicationFile [11.10.2018, 16:30 Uhr]

42 MDR: “… im Grunde waren es natürlich Botschaften” Interview des MDR, 12.11.2009, https://www.mdr.de/damals/archiv/artikel91544.html [11.10.2018, 16:00 Uhr]

43 „Bahr ging nach Moskau, um eine umfassende politische Erklärung im ,Leitgespräch mit der Führungsmacht´ zu erreichen: Vertrag mit der Sowjetunion und Verständigung mit ihr über die Grundlinien der Verträge mit den anderen ost/mitteleuropäischen Staaten, insbesondere mit der DDR; Grundsatzvereinbarungen über strittige Fragen (einschließlich einer Berlin-Regelung) – dies alles ,als einheitliches Ganzes´. Bahr trug damit einerseits dem Selbstverständnis und der Intention der sowjetischen Hegemonialmacht Rechnung. In dem Entwurf der Verhandlungsdirektive für die sowjetische Verhandlungskommission vom 3. Dezember 1969 hieß es u.a.: Die Verhandlungen seien so zu führen, dass sich ,bei der Regierung Brandt der Eindruck festige, dass sie ohne Vereinbarung mit der UdSSR keine Grundlage habe, auf eine Vereinbarung […] mit anderen sozialistischen Ländern  zu zählen´. Andererseits entstand (das war Bahrs Kalkül) einem befriedigenden Moskauer Vertrag ein sowjetisches Interesse, auf Polen und insbesondere auf die DDR einzuwirken; sie zu veranlassen, von ihren Maximalforderungen in den Verhandlungen mit Bonn (im Falle der DDR die völkerrechtliche Anerkennung) abzugehen.“ LINK, WERNER, a.a.O, Seite 304, siehe 34, 40, 41, 44


wurde allerlei Übereinstimmung erzielt und „Leitsätze für einen Vertrag zwischen der BRD und der UdSSR“ paraphiert – das sogenannte „Bahr-Papier“.44 Der Hauptpunkt des Dokuments war Paragraph 3 – da sprang die Katze aus dem Sack:

„3) Die BRD und die UdSSR stimmen in der Erkenntnis überein, dass der Friede  in Europa nur erhalten werden kann, wenn niemand die gegenwärtigen Grenzen antastet. Sie verpflichten sich, die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten.

Sie erklären, dass sie keine Gebietsansprüche gegen irgendjemand haben und solche in Zukunft auch nicht erheben werden. Sie betrachten heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich, wie sie am Tage der Unterzeichnung dieses Abkommens verlaufen, einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Volksrepublik Polen bildet, und der Grenze zwischen der BRD und der DDR.“ 45

Das geheime Papier wurde kaum drei Wochen später von der BILD-Zeitung und der Illustrierten QUICK veröffentlicht. Prominente Kritiker der Ostpolitik in der Union, so die Abgeordneten Freiherr zu Guttenberg und Werner Marx, stellten ähnliche Versionen des Papiers vor, doch wurden diese Veröffentlichungen von vielen als Versuche der Torpedierung bewertet und brachten der Union wenig Sympathien ein.46

Die Union kritisierte dass diese Indiskretionen womöglich von der UdSSR als Aufhänger  benutzt  werden  könnten,  das  Bahr-Papier  zu  ihrem  eigenen  Vorteil   als „unabänderlich“ anzusehen – die Frage ist, ob dem alten Fuchs Egon Bahr das nicht ganz gut in den Kram passte. Erstens war Paragraph 3 in der Tat die Conditio sine qua non jedes Vertrages, zweitens hatten die Russen sich im Paragraph 2 des Papiers zum Artikel  2  der  UN-Charta  (Gewaltfreiheit)  bekannt,  und  Berlin  stillschweigend  ausgeklammert – was hätte man mehr erreichen können?


44 Quellenlage unklar: Die BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG nennt Bahr und Gromyko als Partner, das Datum 22. Mai 1970 und Moskau als Ort, siehe: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschland-chronik/131824/22-mai-1970[16.10.2018,16:30  Uhr] – die UNIVERSITÄT VON LUXEMBOURG, CVCE, Institut für Europäische Studien, präsentiert eine PDF-Datei mit der Quellenangabe: SCHWARZ, HANS-PETER (Hrsg.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970. Band II: 1. Mai bis 31. August, München, R. Oldenbourg Verlag, 2001. ISBN 3-486-56498-6. “Leitsätze für einen Vertrag mit der UdSSR”, p. 822-824 – hier werden Egon Bahr und Walentin Falin, Abteilungsleiter im sowjetischen Außenministerium, als Beteiligte genannt, das Datum 20. Mai 1970, aber kein Ort. [16.10.2018, 17:30].

45 Siehe 46, https://www.cvce.eu/content/publication/2003/4/24/95b7a60e-2786-47c7-9c20-f7c831a3b97e/publishable_de.pdf , Seite 2 [16.10.2018, 17:45].

46 HOERES, PETER: Informationslecks im Kalten Krieg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2010, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/politik-und-geheimnisverrat- informationslecks-im-kalten-krieg-11083219.html [ 16.10.2018, 18:30 Uhr].


Das „Fait Accompli“ – die `vollendete Tatsache´- ist eine Standardtaktik der Diplomatie– und ein Fait Accompli wurde durch das Bahr-Papier geschaffen. Es gab keinen Weg zurück und niemandem fiel etwas Besseres ein – auch den härtesten Kritikern nicht.

4.    Gambit

Die Einzelheiten der nachfolgenden Verträge von Moskau (12.8.1970) und Warschau (7.12.1970), des Viermächteabkommens über Berlin (3.9.1971), der folgenden Verträge mit der DDR (Transitabkommen vom 17.12.1971 und Grundlagenvertrag vom 21.12.1972), sowie des abschließenden Prager Vertrags mit der Tschechoslowakei (11.12.1973) sind unschwer nachzulesen.

Die Schlussakte der KSZE wurde am 1. August 1875 unterschrieben. Im Nachhinein ironisch bleibt die Tatsache dass der Ostblock die Bedeutung des Kapitels VII der Schlussakte – „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit“ – überhaupt nicht auf dem Radar hatte. Dieses Versäumnis bildete bald den Ausgangspunkt für die Gründung von „Helsinki“ – Gruppen in der UdSSR (so u.a. in Moskau, der Ukraine, Georgien, Lettland, Litauen und Estland) wie auch für die Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die Organisation Charta 77 in der ČSSR und die freie Gewerkschaft Solidarność in Polen – die eigenen Unterschriften der östlichen Regierungen in Helsinki erschwerten es ihnen immer mehr, Dissens so einfach wie früher zu unterdrücken.

Am 9. November 1989 gegen 23 Uhr 30 ließ der Oberstleutnant der Passkontrolleinheit des MfS Harald Jäger, stellvertretender Leiter der DDR-Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße in Ostberlin, den Schlagbaum öffnen – die Mauer war gefallen.

Am 15. März 1991 trat der am 12. September 1990 von allen Beteiligten in Moskau unterzeichnete „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ in Kraft, auch Zwei-plus-Vier-Vertrag genannt, der die volle staatliche Souveränität des vereinten Deutschlands wiederherstellte. Egon Bahr hatte gewonnen.

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Literaturverzeichnis

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Zitatnachweis

  Nr.  Textseite  Autor  Werk  Seite
    9    4    Bundesrepublik Deutschland    BUNDESANZEIGER, 1. Jg. Nr. 28, vom 26. November 1949,    1
  16  7  Fäßler, Peter E.  Innerdeutscher Handel als Wegbereiter der Entspannungspolitik, BPB, Bun- deszentrale für Politische Bildung 2007  3
188Winkels, MartinDie Deutschland- und Ostpolitik der ersten Großen Koalition in der Bundesre- publik Deutschland (1966-1969), Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich- Wilhelms-Universität zu Bonn, verlegt ebenda 2009,70
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2911Brandt, WillyDenk Ich an Deutschland, Rede am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See, in 231
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3111Brandt, W.a.a.O., siehe 238
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3914Link, W.a.a.O., siehe 33297
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(© John Vincent Palatine und Ilja Smakhtin 2018/20)

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