Historia Occidentalis

Ein Magazin zur Zentraleuropäischen Geschichte

Schlagwort: Royal Navy

Das Massaker des John J. Pershing

US Infanterie im Angriff …

Vorhergehender Artikel: Foul Play mit Vierzehn Punkten

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Zwar gelang es der deutschen Armee noch, den Fortschritt der Alliierten Offensiven Ende Oktober zu verlangsamen, aber es war klar, dass dieser Widerstand den nächsten und letzten Akt des Dramas nur verzögerte: irgendwann wäre der Knackpunkt erreicht. Im Fall der Fälle war es des Kaisers Lieblingsspielzeug, die Hochseeflotte.

In diesem Todeskampf des Deutschen Reiches nahmen zwei Gruppen in der deutschen Marine die Sache in ihre eigenen Hände, zuerst die Admirale und danach die Matrosen. Die U – Boot Waffe war auf Anker gelegt worden, aber die Hochseeflotte blieb eine potenziell starke Macht. Erbost über die U-Boot – Entscheidung, beschlossen Scheer und die Seekriegsleitung, die Überwasserschiffe in einer letzten Offensive zu verwenden, und planten eine neue Variante der früheren erfolglosen Versuche , die Grand Fleet über einen U-Boot – Hinterhalt zu locken. Der Unterschied war diesmal, dass die Deutschen beabsichtigten, diese Schlacht auch durchzuziehen , sobald die U-Boote es geschafft hatten, die numerische Überlegenheit der Grand Fleet zu reduzieren.

Ob die Hochseeflotte die geplante Schlacht nun gewinnen oder verlieren werde, war nicht die große Sorge der deutschen Admirale; sie wollten der Grand Fleet zumindest schwere Schäden zufügen. Hipper stimmte mit Scheer überein, dass „ein ehrenvoller Kampf – auch wenn es ein Kampf auf Leben und Tod sein sollte – die Saat für eine neue, zukünftige deutsche Flotte legen würde.“ Neben der Bewahrung dieser [offensichtlich kostbaren] Ehre, könnte eine Schlacht, die der Grand Fleet schwere Schäden zufüge, auch einen günstigen Einfluss auf die Friedensverhandlungen mit Deutschland haben. (42)

Geheimgehalten vor der Reichsregierung, wollte der Plan alles, was schwamm, in den Einsatz gegen die Royal Navy zu schicken: achtzehn Schlachtschiffe vom  Dreadnought-Typ, fünf Schlachtkreuzer, zwölf leichte Kreuzer und zweiundsiebzig Zerstörer. Der taktische Plan war es, den Grand Fleet dazu zu verlocken, die Hochseeflotte über eine Barrikade von Minen und U-Booten hinweg zu verfolgen, welche die britische Übermacht genug verringern würden, den Deutschen zu ermöglichen, die Schlacht zu gewinnen oder glorios unterzugehen. Um die Aufmerksamkeit der britischen Admiralität zu fesseln, hatte Hipper, mittlerweile zum Flottenadmiral befördert, lokale Angriffe auf Häfen und Bombardements von Küstenstädten ins Auge gefasst. Eine spezielle Gruppe von Kreuzern und Zerstörern sollte die Briten aufschrecken, indem sie in die Themse-Mündung segelten und die örtliche Schifffahrt angriffen. Wenn die Grand Fleet nach Süden aufbräche, um die Belästigung zu beenden, stünden die Deutschen bereit. Scheer, jetzt oberster Marinebefehlshaber und Hipper hofften beide, dass „ ein taktischer Erfolg die militärische Position umkehren könne und die Kapitulation abwenden“. (43)

Der Plan

Dies war entweder bemerkenswerter Optimismus oder kompletter Irrsinn. Scheer genehmigte Hippers Plan am 27. Oktober und zweiundzwanzig U-Boote liefen aus, um eine Falle zu stellen. Der Rest der Flotte wurde im Jadebusen gesammelt, wo ihre unerwartete Anwesenheit Aufregung in Hülle und Fülle verursachte. Einige Fälle von Fahnenflucht waren bereits in Cuxhaven aufgetreten, und setzten sich unter den Besatzungen der Schlacht fort, die am 29. Oktober im Jadebusen ankamen. Dass die Konzentration aller großen Schiffe in einem Hafen nichts anderes als eine geplante Operation bedeuten konnte, war klar, und die Gerüchteküche bestätigte bald, dass der nächste Morgen den Befehl zum Ankerlichten bringen würde. Kein Seemann hatte Zweifel, warum. Die Besatzungen der Schlachtschiffe „König“, „Kronprinz Wilhelm“, „Markgraf“, „Kaiserin“‚ „Thüringen“ und „Helgoland“ hissten rote Fahnen und erklärten damit ihre Meuterei. „Die Seeleute auf den Schiffen hatten kein Interesse an einem ehrenvollen Tod für den Ruhm der Flotte; sie wollten ein Ende des Kampfes, Entlassung und die Erlaubnis, nach Hause zu gehen.“ (44)

SMS Thüringen war eines der ersten meuternden Schiffe

Gegen 22.00 Uhr am 29. Oktober fand Hipper die meisten Schiffe seiner Flotte außer Betrieb und als sich die Meuterei am nächsten Morgen auf den Schlachtschiffen „Friedrich der Große“ und „König Albert“ ausbreitete, musste das Auslaufen abgebrochen werden. Um weitere Unbotmäßigkeiten zu verhindern, ordnete Hipper an, die drei Schlachtgeschwader zu trennen und wieder in ihre Heimathäfen Wilhelmshaven , Cuxhaven und Kiel zurückzubeordern . „Thüringen“ und „Helgoland“ bewegten sich jedoch keinen Zoll weit, und Hipper rief ein Bataillon loyaler Marineinfanterie zu Hilfe, das die Besatzungen verhaftete, fesselte und einsperrte. (45)

Soldatenrat des Linienschiffes “Prinzregent Luitpold”.

Hippers Versuche zur Durchsetzung von Disziplin schürten das Feuer nur weiter und durch die Verschickung der Schlachtgeschwader in drei verschiedene Häfen war ihm eigentlich nur eine Weiterverbreitung der Meuterei gelungen. Als das dritte Geschwader am 1. November in Kiel ankam, wurden die Hunderte angeketteter Seeleute von viertausend rebellierenden Seemännern und Werftarbeitern begrüßt, die sich ihrerseits zu Waffen verholfen hatten, indem sie die gut sortierten Arsenale plünderten und die Freilassung der Gefangenen verlangten. Der nächste Tag sah die Errichtung von provisorischen Soldaten- und Arbeiterräten, einen Aufruf der Gewerkschaften zu einem Generalstreik, und 4. November die komplette Übernahme von Hafen und Stadt. Eine Bande von Meuterern versuchte, den kommandierenden Admiral, Prinz Heinrich von Preußen, Wilhelms Bruder, zu verhaften, der …

Matrosen in Kiel demonstrieren nach dem Aufstand 1918.

…  zur Flucht um sein Leben gezwungen wurde und sich hinter einem falschen Bart und einer roten Fahne auf seinem Auto versteckte. Trotzdem wurde das Auto verschiedentlich beschossen, der Fahrer schwer verletzt, und der Prinz gezwungen, das Steuer selbst zu übernehmen und sich schnellstens zur dänischen Grenze bei Flensburg abzusetzen. (46)

Auch die kleineren Schiffe wurden besetzt …

Bald entwickelten sich aus der zuerst lokalen Meuterei offene Aufforderungen zur Revolution, und so wie Küstenschiffe die Nachricht an die kleineren Hafenstädte weiterleiteten, breitete sich der Keim der Empörung per Eisenbahn über das ganze Land aus. Matrosen- und Soldatenräte übermittelten ihre Forderungen an die Bürger jeder Stadt , die sie betraten: einen sofortigen Waffenstillstand, die Abdankung des Kaisers und der Bildung einer neuen, demokratischen und republikanischen Regierung. Dennoch blieben die Nachrichten an vielen Stellen lückenhaft, und in dem Versuch, genau herauszufinden was in Kiel geschehen war, schickte Reichskanzler Prinz Max von Baden eine Delegation aus zwei Reichstagsabgeordneten dorthin: seinen Freund Conrad Haußmann und den ehemaligen Metzger und Journalisten Gustav Noske , einen Vertreter der Sozialdemokraten. Als die Abgesandten im Bahnhof der Stadt ankamen, wurden sie von einer großen Menge begrüßt, deren scheinbar revolutionäre Stimmung Noske überzeugte, eine improvisierte Rede zu halten, in der er im Wesentlichen den Zuhörern versprach, dass ihre Forderungen bald erfüllt werden sollten. Am selbigen Abend konnte er Berlin über die Details des Aufstandes informieren, hinzufügend, dass die Menge ihn zum revolutionären Gouverneur Schleswig-Holsteins gewählt habe. (47)

Die Revolution in Kiel

In der Zwischenzeit verschlimmerte sich das menschliche Leiden an der Westfront wesentlich durch die Rückkehr der sogenannten  Spanischen Grippe, die, trotz ihres Namens, ihren Ursprung wohl in Fort Riley, Kansas, zu haben schien. (48) [FN 1] Es war schon im Sommer zu einem frühen Ausbruch der Seuche gekommen, der die bereits geschwächten deutschen Linien etwa 400.000 Soldaten kostete und eine vergleichbare Zahl der Alliierten, aber der zweite Ausbruch erwies sich als weitaus ansteckender und tödlicher. Die Ankunft amerikanischer Truppentransporter brachte die Epidemie zu den großen Ausschiffungshäfen; die ankommenden Soldaten infizierten die Franzosen, die wiederum die Briten infizierten, und deren beide Kriegsgefangenen wiederum die Deutschen.

Soldaten aus Fort Riley in Camp Funston

[FN 1] Die Influenza – Epidemie von 1918/19 verdient zweifellos einen eigenen Blog – Eintrag. Bitte beachten Sie hier den Artikel in der Wikipedia.

Merkwürdigerweise schlug die Krankheit am schlimmsten bei den Stärksten zu, vor allem bei jungen Männern in ihren besten Jahren. Truppentransporter, beladen mit eng zusammen gepackten Männern, wurden zu schwimmenden Todesfallen. Ein amerikanischer Konvoi hatte bei seiner Ankunft in Brest am 8. Oktober, in der Mitte der Maas-Argonne-Offensive, 4.000 Menschen durch die Grippe verloren, wovon 200 bereits auf See bestattet worden waren. Zweihundert weitere Kranke von der USS Leviathan [der beschlagnahmten deutschen ‘Vaterland‘] starben innerhalb weniger Tage. …

Die Epidemie stellte ein Dilemma für Präsident Wilson dar. Da Militärlager für die Verbreitung der Infektion wie Gewächshäuser wirkten, wurde der Auftrag für die Einberufung von 142.000 Menschen im September abgesagt. Sollte er, fragte sich Wilson, auch die Einschiffung weiterer Truppen abbrechen?

Am 8. Oktober traf er sich mit dem ziemlich ruppigen Stabschef der Armee, General Peyton March , um ihn um seine Ansicht zu bitten. Beiden Männern war klar, dass Soldaten in die überfüllten Schiffe zu stopfen ein Todesurteil für Tausende von ihnen bedeutete. Aber Pershing forderte verzweifelt Ersatz an, zumal 150.000 seiner Männer mit Grippe ausgefallen waren. Nur zwei Tage vor dem Treffen Wilsons und Marchs hatte Prinz Max seinen Friedensappell an den Präsidenten gemacht. Wilson und March wussten, dass weitere Verschiffungen, die im Moment auf durchschnittlich 50.000 wöchentlich angeschwollen waren, der sicherste Weg waren, Deutschland zu besiegen. Wie würden die Deutschen reagieren, wenn sie eine Verminderung dieses Drucks erkannten, falls die amerikanische Arbeitskraft-Pipeline geschlossen wurde? March sagte Wilson „Jeder Soldat, der [an der Influenza] stirbt, hat sicherlich genauso seinen Teil zum Krieg beigetragen wie sein Kamerad, der in Frankreich gestorben ist. Der Versand der Truppen darf auf keinen Fall gestoppt werden.“ Die Truppentransporter fuhren weiter. (49)

Am 27. Oktober teilte Prinz Max Präsident Wilson mit, dass alle seine Forderungen erfüllt werden würden. Technisch gesehen war es natürlich nicht seine eigene Entscheidung , sondern die seines Vetters Wilhelm, aber Max hatte vorsichtigerweise unterlassen, den Kaiser von der Klausel in Wilsons Demarche vom 23. Oktober zu informieren, die die Abschaffung der Monarchie zu fordern schien. Diese – besondere – Brücke würde er überqueren, wenn es der Moment erforderte. Als die Türkei am 30. Oktober um einen Waffenstillstand bat und Österreich am 4. November, fand sich Deutschland im Krieg allein. Die Front hielt noch, wie durch ein Wunder, aber in der Luft hing der Geruch nach Revolution. Am 29. Oktober verließ Wilhelm Berlin in Richtung des Oberkommandos in Spa, in dem fragwürdigen Glauben, dass seine Präsenz in der Nähe der Front den Mut der Soldaten heben würde. Aber es war die Abwesenheit, nicht die Gegenwart, der Person des Kaisers, die eine Art rebellischer Entelechie in der Hauptstadt freisetzte, und die endgültige, entscheidende und irreparable Auflösung des Ancien Régime nach sich zog.

„Die Roten strömen mit jedem Zug aus Hamburg nach Berlin hinein“, schrieb Graf Harry Kessler, eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, Diplomat und Sozialdemokrat, in sein Tagebuch am 6. November. „Ein Aufstand wird hier für heute Abend erwartet. Heute morgen wurde die russische Botschaft überfallen wie eine anrüchige Kneipe und Joffe [der Botschafter] hat sich mit seinen Mitarbeitern abgesetzt. Jetzt sind wir quitt mit diesem bolschewistischen Zentrum in Berlin. Aber vielleicht müssen wir diese Leute doch noch zurückrufen.“ (50)

In der ersten Woche des Novembers wurde die Meuterei der Matrosen von der Unbotmäßigkeit vielen Garnisonen gefolgt, deren mangelnde Bereitschaft, den ungeliebten preußischen Staat zu unterstützen, öffentliche Aufstände erleichterte. Lokale Anarchisten, Spartakisten und Unabhängige Sozialdemokraten stritten sich über verschiedene Formen der Revolution, und Räte übernahmen die Verwaltung der meisten großen Städte. In der ersten Woche im November wurden Rote Fahnen durch die Straßen von Hamburg, Bremen, Köln, DuisburgFrankfurt und München getragen. Aber es war eine merkwürdig stille Rebellion, die durch die Straßen zog – alle Berichte stimmen darin überein; Gewalt, ja sogar leidenschaftliche Diskussionen waren seltsam abwesend. Das jedoch änderte sich schnell genug. Der Spartakusbund,  deutsche Bolschewisten in Verkleidung, hatten unauffällig während der ersten Woche im November ihre Anhänger in der Hauptstadt konzentriert, während ihre Führer, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die deutsche Revolution vorbereiteten.

Karl Liebknecht predigt die Revolution …

Liebknechts Vater Wilhelm war ein persönlicher Freund von Karl Marx gewesen und erreichte sozialistische Heiligsprechung als Mitbegründer der SPD und Herausgeber der Parteizeitung „Vorwärts“. Sein Sohn studierte Jura und Wirtschaft in Leipzig und Berlin, bevor er im Wesentlichen als Anwalt für die sozialistische Bewegung tätig wurde. Er wurde 1912 für die SPD in den Reichstag gewählt und war das einzige Mitglied des sozialistischen Lagers, das im August 1914 gegen die Kriegskredite stimmte. Als ihm klar wurde, dass der Rest der Partei zumindest vorübergehend die Regierung und damit den Krieg unterstützen würde, begann Liebknecht nach Sympathisanten außerhalb der Partei zu suchen.

Zu diesem Ziel gründete er den „Spartakusbund“, die Liga des Spartakus, benannt, natürlich, nach dem thrakischen Sklaven Spartacus, der den Aufstand gegen Rom von 72 bis 70 BC angeführt hatte. Die „Spartakusbriefe“, die Antikriegszeitung der Liga, wurden ziemlich bald verboten, und ihr Gründer und Herausgeber fand sich an der russischen Front wieder, wo er sich zu kämpfen weigerte und schließlich einem Beerdigungskommando zugeteilt wurde. Gesundheitlicher Gründe halber aus dem Dienst entlassen, ging er wieder direkt zur Antikriegspropaganda zurück und leitete die sozialistische Friedensdemonstration am Maifeiertag 1916 durch die Straßen Berlins. Dieses Mal wurde er für vier Jahre wegen Hochverrats ins Gefängnis geworfen, aber bald aufgrund Prinz von Badens Amnestie für politisch Gefangene im Oktober 1918 begnadigt. Sobald er zurück auf den Straßen war, nahm er „seine Führung des Spartakus, in Partnerschaft mit den polnischen Aktivistin Rosa Luxemburg“ wieder auf. (51)

Rosa Luxemburg

Frau Luxemburg war schon früh als Lehrling in das Geschäft der Anzettelung von  Aufständen eingetreten; sie war in den illegalen sozialistischen und anti-zaristischen Bewegungen Vorkriegs-Russlands aktiv gewesen, seitdem sie eine Schülerin war. (52) Rechtzeitig der Aufmerksamkeit der Ochrana entronnen, fand sie sich in der Schweiz wieder, wo ein wohlhabenden Liebhaber ihr ein Studium an der Züricher Universität ermöglichte und half, die illegalen sozialistischen Parteien in Polen und Litauen zu unterstützen. Sie war vielleicht die extremste sozialistische Aktivistin außerhalb Russlands in diesen Jahren und befürwortete die globale und rücksichtslose Revolution. Sie wurde Deutsche per Heirat im Jahre 1903, trat der SPD bei, und fing an, ihr politisches Gewicht hinter den radikalen Flügel zu stellen. Schließlich wurde sie als Faktotum der Weltrevolution bekannt und regelmäßig ins Gefängnis geworfen, von ihrer alten Schweizer Flamme gerettet und wieder eingesperrt. Sie tat sich mit Liebknecht unmittelbar nach ihrer Freilassung durch von Badens Amnestie zusammen und begann die revolutionäre Bürokratie des Spartakusbunds zu organisieren.

Dieses giftige Pärchen, wie Lenin und Trotzki in Russland, sah die gemäßigten Sozialisten der SPD als ihre Hauptfeinde. „Die Partei muss durch die Rebellion der Massen von unten wieder neu aufgebaut werden“, schrieb Luxemburg. Ihre Verbündeten war die pazifistische Linke, die sich von der SPD im Jahr 1917 abgespalten und eine eigene Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD gebildet hatte –  nur geringfügig weniger extrem als der Spartakusbund. Die gemäßigten Sozialisten reagierten, indem sie in „Vorwärts“ höhnisch die „pathologische Instabilität“ des Spartakusbunds mit ihrem eigenen „klaren Kopf und vernünftiger Ruhe“ verglichen. Aber während die gemäßigten Sozialisten sich vernünftig ruhig verhielten, fingen Abordnungen der Spartakisten die aus dem Krieg zurückkehrenden Truppen an den Bahnhöfen ab, um Gewehre, Pistolen und Maschinengewehre zu erbetteln oder zu kaufen. (53)

Inzwischen sah sich Prinz Max mit dem Problem konfrontiert, wie der Krieg und die Monarchie zu beenden wäre, ohne dabei unfreiwillig eine Revolution zu verursachen. Er konzentrierte seine Anstrengungen auf drei entscheidende Fragen: den Ersatz von Kriegsdiktator Ludendorff, die Bildung einer Regierung die in der Lage wäre, das Land friedlich durch die vielen absehbaren Veränderungen zu führen, und, als Voraussetzung für das letztere, die Abdankung seines Vetters Wilhelm. Am 9. November beförderte er General Wilhelm Groener, den Sohn eines württembergischen Unteroffiziers und Transport- und Versorgungsspezialisten, auf Ludendorffs ehemaligen Posten als Generalstabschef und übertrug– völlig illegal – sein eigenes Amt und Autorität als Reichskanzler auf den siebenundvierzig Jahre alten ehemaliger Sattler und Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert . Die noch verbleibende Aufgabe war die schwerste. Keine bürgerliche, und noch viel weniger eine von Sozialisten geführte Regierung, könne ihre Autorität ausüben, solange der diskreditierte Kaiser noch im Amt verblieb.

Zu dieser Zeit hielt sich Wilhelm noch in Spa auf, den kaiserlichen Kopf voller törichter Phantasien, wie er, sobald der Waffenstillstand unterzeichnet war, seine treuen Armeen zurück nach Deutschland führen würde, um die Ordnung wiederherzustellen. Wie Prinz Max in Berlin zu Recht erkannte, war eine Rückkehr Wilhelms weit davon entfernt, eine Lösung sein – sie war eher das Problem. Berichten zufolge hatten in Metz, dem nächste Ziel der alliierten Offensive, bereits 10.000 deutsche Soldaten gemeutert, einen Soldatenrat gebildet, und die Stadt übernommen. Ähnliche Umstürze der alten Ordnung brachen in ganz Deutschland aus. … Den Frieden ersehnenden Deutschen war klar, dass die einzige Handlung, die die Massen vom Überlaufen in das radikale Lager abhalten würde, die Entfernung des in Verruf geratenen Monarchen war. (54)

In den letzten zehn Tagen seit seiner Ankunft in Spa hatte Wilhelm erfolgreich jeden Bezug zu den Realitäten vermieden und darauf bestanden, dass eine Abdankung indiskutabel war. Nicht an Widerspruch gewohnt, weigerte der Kaiser sich, den Erklärungen des Boten von Prinz Max, dem preußischen Innenminister Drews zuzuhören. Er habe „nicht die Absicht, wegen einiger hundert Juden und tausend Arbeitern dem Thron zu entsagen. Sagen Sie das Ihrem Meister in Berlin.“ (55)

Baden erkannte , dass er persönlich mit seinem Vetter sprechen musste. Am Abend des 8. November rief er Wilhelm am Telefon an und versuchte, durch des Kaisers Starrsinn zu dringen, indem er klarstellte, dass ohne Wilhelms Abdankung ein Bürgerkrieg das Land verwüsten würde. Der Kaiser glaubte ihm kein Wort. Es war undenkbar, erwiderte er, dass die Armee sich weigern würde, ihm zu folgen. Da es, darüber hinaus, Prinz Max gewesen war, der Wilson um einen Waffenstillstand gebeten hatte, nicht Wilhelm selbst, fühlte sich der Kaiser gänzlich unbeteiligt. „Sie haben um den Waffenstillstand gebeten“, sagte er, „also werden auch Sie die Bedingungen akzeptieren müssen.“ (56) Am nächsten Morgen, am 9. November, erschien die Führung der Armee, Hindenburg und Groener, im Hotel Britannique in Spa, um ihrem Souverän einen letzten und notwendigen Besuch abzustatten.

Am 9. November, traf der Kaiser in Spa die Führer seiner Armee, der Institution, durch die die Hohenzollern-Dynastie an die Macht gekommen war, und die deren Würde und Autorität immer aufrechterhalten hatte. Wilhelm II glaubte immer noch , dass, welche Akte der Untreue auch immer von den zivilen Politikern in Berlin begangen würden, welche Angriffe auf Ruhe und Ordnung auch immer die Straßen störten, seine Untertanen in Feldgrau würden ihrem Eid des militärischen Gehorsams treu bleiben. Auch an diesem 9. November fuhr er fort sich einzureden, dass er die Armee gegen das Volk einsetzen könne und damit das Königshaus retten; wenn er nur Deutschen befahl gegen andere Deutsche zu kämpfen.

Seine Generäle wussten es besser. Hindenburg, der hölzerne Riese, hörte ihn in aller  Stille an. Groener, der praktisch denkende Transportoffizier, Sohn eines Sergeants, der nun Ludendorff ersetzt hatte, fand den Mut zu sprechen. Er wusste, aus Umfragen unter fünfzig Regimentskommandeuren, dass die Soldaten jetzt „nur noch eins wollten – einen Waffenstillstand zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ Der Preis dafür, für das Haus Hohenzollern, war die Abdankung des Kaisers. Der Kaiser hörte ihm mit steigender Ungläubigkeit zu. Was ist, fragte er, mit dem Fahneneid, dem Eid auf die Farben des Regiment, der jeden deutschen Soldaten band, eher zu sterben, als nicht zu gehorchen? Groener sprach das Unaussprechliche aus. „Heutzutage“, sagte er, „besteht der Fahneneid nur aus bedeutungslosen Worten. “(57)

In der Reichskanzlei in Berlin, nicht in der Lage, den Ereignissen in entfernten Spa zu folgen, konferierte von Baden mit Ebert über die Situation auf der Straße. Ebert warnte, dass, wenn die Abdankung sich weiter verzögere, ein Staatsstreich von Spartakus und USPD in jeder Stunde wahrscheinlicher werde. Da Prinz Max sich im Klaren darüber war, dass die Monarchie wohl oder übel nicht mehr zu halten war, diktierte er, der Wirklichkeit vorgreifend, einem Mitarbeiter der Wolff-Telegraphen-Agentur in Berlin die Meldung, „Der Kaiser und König hat sich entschlossen, auf den Thron zu verzichten.“ ( 58)

Feuerwerk der deutschen Hochseeflotte in Wilhelmshaven nach der Abdankung des Kaisers
“Der Kaiser hat abgedankt!” – 2. Extra-Ausgabe des “Vorwârts” vom 9. November 1918.

Als das sensationelle Telegramm binnen weniger Minuten zur Aufmerksamkeit der Konferenz in Spa gebracht wurde, explodierte Wilhelm in einer Philippika gegen alle Verräter, zivile und militärische, aber war schließlich gezwungen zu erkennen, dass das Spiel aus war. Um 3:30 Uhr am Samstag, den 9. November 1918, gab er den Thron auf, und das Ende des Zweiten Kaiserreichs war gekommen; 47 Jahre und 10 Monate nach seiner Gründung im Spiegelsaal von Versailles. Auf Hindenburgs Rat verließ Wilhelm Spa in den frühen Morgenstunden des 10. November, und ging ins Exil auf Schloss Amerongen in den Niederlanden, den Sitz des Grafen Godard Bentinck, der für die nächsten 23 Jahre sein Gastgeber sein würde. (59)

Wilhelm II an der holländischen Grenze auf dem Weg ins Exil

Inzwischen entwickelten sich die Ereignisse in der Hauptstadt Hals über Kopf. Philip Scheidemann, der stellvertretende Vorsitzende der SPD, war von der Reichskanzlei in den Reichstag gestürmt, um seine Kollegen über Eberts Termine zu informieren. Während eines wohlverdienten Mittagessens in der Cafeteria wurde ihm mitgeteilt, dass Spartakus und USPD ihre Anhänger zum Stadtpalast des Kaisers zusammengerufen hatten, angeblich zur Verkündigung der Revolution und Proklamation einer deutschen Sozialistischen Sowjetrepublik. Geschwindigkeit war nun von fundamentaler Wichtigkeit.

Philipp Scheidemann am Fenster der Reichskanzlei in Berlin bei der Proklamation der Deutschen Republik.

Scheidemann stürmte auf die Terrasse vor der Reichstagsbibliothek, wo er von einer zwischen Hoffnung und Furcht schwankenden Menge bejubelt wurde. Improvisierend informierte Scheidemann die Menschen über die Ernennung Eberts zum Kanzler und die Schaffung einer neuen, republikanischen und demokratischen Regierungsform und beendete seine kurze Ansprache mit den Worten: „Die verfaulte alte Monarchie ist zusammengebrochen. Lang lebe das Neue! Es lebe die deutsche Republik!“(60) In der Zwischenzeit waren Delegationen der Spartakisten in Fabriken, Kasernen und Kasernen erschienen und hatten eine Menge von Tausenden von Anhängern mobilisiert, die zum Königlichen Schloss marschierten. Liebknecht begrüßte die revolutionäre Versammlung vom Balkon des Gebäudes herab, von wo der Kaiser früher seine Untertanen adressiert hatte:

„ Kameraden!“, rief er. „Die rote Fahne fliegt über Berlin! Das Proletariat marschiert. Die Herrschaft des Kapitalismus , die Europa in einen Friedhof verwandelt hat , ist vorbei. Wir müssen unsere Stärke sammeln, um eine neue Regierung der Arbeiter und Bauern zu bilden, und eine neue Ordnung des Friedens und die Freude und Freiheit nicht nur für unsere Brüder in Deutschland, sondern für die ganze Welt zu erschaffen. Wer entschlossen ist, den Kampf nicht einzustellen, bis die freie sozialistische Republik und die Weltrevolution verwirklicht ist, soll seine Hand heben und schwören!“ Die Menge brüllte zurück ‘Wir schwören’“. Aber Liebknecht kam zwei Stunden zu spät. (61)

Ebert hatte schnell gehandelt und bereits die USPD, Liebknechts einzig mögliche Unterstützer, davon überzeugt, in eine Koalition mit der SPD einzutreten, indem er der kleineren Partei einen gleichen Anteil bot, drei von sechs Sitzen in der provisorischen Regierung. Die neue Exekutive nannte sich „Rat der Volksbeauftragten“  und es wurde erwartet, dass sie sich die Verwaltung mit dem Arbeiter- und Soldatenrat der Hauptstadt teile, bis eine Nationalversammlung eine Verfassung erlassen und anschließend eine legitime Regierung beauftragen konnte. Ebert vorsichtiges Manövrieren überzeugte auch die liberalen und katholischen Interessen in der Hauptstadt und in weiten Teilen des Landes, die früher gefürchtete SPD als tragende Säule der neuen Republik zu unterstützen und damit hatte die neue Regierung zumindest die Legitimität populärer Unterstützung.

Dies alles unter der Voraussetzung, dass die Revolution in Schach gehalten werden könne. Dies schien in der Tat der Fall zu sein: außer ein paar Scharmützeln am Samstagabend und Sonntag, dem 10. November, blieb Berlin ruhig, und nachdem die Frage einer deutschen Republik jetzt aus dem Bereich der Möglichkeit zur Wirklichkeit geworden war, richteten sich die Augen der Nation zurück an die Westfront. Der Krieg war noch im Gange, und das Alliierte Oberkommando hatte bereits die nächste Offensive geplant; gegen Metz, am 14. November, und weitere Angriffe waren bis weit in das Jahr 1915 vorgesehen.

Der amerikanische Oberbefehlshaber John J. „Black Jack“ Pershing, der jetzt fast zwei Millionen „Doughboys“ unter seinem Kommando hatte, ersehnte sich eine baldige Vermehrung seines militärischen Prestiges durch die Eroberung von Sedan, das bei weitem die attraktivste Ziel in dem südöstlichen Teil der Front war. Es war die Stadt, wo die deutsche Armee die Franzosen im Jahr 1870 geschlagen und Napoleon III und 100.000 Poilus zu Kriegsgefangenen gemacht hatte.

Matthias Erzberger

Inzwischen hatte Prinz Max am 7. November eine Delegation für die Aushandlung des Waffenstillstands zu den französischen Gräben in der Nähe von Haudroy entsandt. Die Abordnung wurde von Matthias Erzberger geleitet, dem Vorsitzenden der deutschen katholischen Zentrumspartei, die von Badens informelle Regierung unterstützte. Er war ein bekannter Pazifist und das einzige bekannte Gesicht in der deutschen Gesandtschaft, die, mit Ausnahme von ihm selbst, aus Funktionären der mittleren Ebene aus dem Auswärtigen Dienst, Armee und Marine bestand. (62) Die Botschaft wurde mit dem Zug zu einem Eisenbahnwagen im Wald von Compiègne transportiert, fünfundsechzig Kilometer nordöstlich von Paris, und mit einer erwartet schroffen Behandlung durch Foch und General Weygand konfrontiert. Die Waffenstillstandsbedingungen waren wie folgt:

Marschall [Ferdinand] Foch vor seinem Salonwagen im Walde von Compiégne, Der zweite von links ist [Maxime] Weygand.

Alle besetzten Gebiete in Belgien, Luxemburg und Frankreich sowie Elsaß-Lothringen, seit 1870 von Deutschland besetzt, müssen innerhalb von vierzehn Tagen evakuiert werden; die Alliierten würden Deutschland westlich des Rheins und Brückenköpfe am Ostufer des Flusses in dreißig Kilometer Tiefe besetzen; alle deutschen Truppen müssen aus Österreich-Ungarn, Rumänien und der Türkei zurückgezogen werden und Deutschland hat 10 Schlachtschiffe, 6 Schlachtkreuzer, 8 Kreuzer und 160 U – Boote an alliierte oder neutrale Häfen auszuliefern. Sie muss alle schweren Waffen abliefern, darunter 5.000 Artilleriegeschütze, 25.000 Maschinengewehre und 2.000 Flugzeuge.

Die nächste Forderung versetzte die deutsche Delegation in tiefste Verzweiflung. Obwohl die Hungersnot im Lande wütete, beabsichtigten die Alliierten die Transportkapazitäten des Landes durch die Fortsetzung der Seeblockade und Konfiszierung von 5.000 Lokomotiven, 150.000 Eisenbahnwaggons und 5.000 Lastwagen zu lähmen. Weygand leierte vierunddreißig Bedingungen herunter, von denen die letzte Deutschland für den Krieg verantwortlich machte und Reparationen für alle Schäden forderte. (63)

Frühe französische Pläne für eine Teilung Deutschlands

Der deutschen Delegation wurde eine 72-Stunden-Frist gewährt und die Gelegenheit eingeräumt, die alliierten Forderungen per Funk an Berlin zu vermitteln. Erzberger war sich bewusst, dass die auferlegten Bedingungen viel zu scharf waren, um dem Radio anvertraut zu werden, welches abgehört werden könnte, und liess Prinz Max lediglich ausrichten, dass ein Kurier auf dem Weg sei. Dann bat er um eine vorläufige Einstellung des Kampfes, bis die Antwort empfangen werden könne, und wies darauf hin, dass damit viertausend Leben oder mehr pro Tag gerettet werden können. Um Pershing einen Gefallen zu tun, der wütend war, dass seine großer Entwurf der Eroberung Deutschland nun vereitelt schien und zur höheren Ehre der amerikanischen Expeditionary Forces und seiner eigenen auf Kampf bis zur letzten Minute bestand, weigerte sich Foch, das Gemetzel einzustellen.

Die Erzberger-Mission übernachtete im Wald von Compiègne in der Nähe von Fochs Eisenbahnwaggon und entwarfen Protestbriefe, die, wie sie hofften. vielleicht einen mäßigenden Einfluss auf die alliierten Bedingungen zeitigen würden. Um 8 Uhr abends am 10. November erhielten sie einen französischen Bericht über eine abgefangene Nachricht aus Berlin, die Erzbergers Vollmachten bestätigte und ihn ermächtigte, das Instrument des Waffenstillstandes zu unterzeichnen.

Danach wurde eine zweite Nachricht Hindenburgs empfangen, die die Echtheit des ersten Signals bestätigte und Erzberger anwies zu versuchen, im Interesse der hungernden Frauen und Kinder um die Aufhebung der Seeblockade nachzusuchen. Um 2 Uhr am nächsten Morgen, den 11. November, wurde die deutsche Delegation zurück in den Eisenbahnwaggon zu einer zweiten Runde Gespräche geführt.

Foch blieb jedoch unnachgiebig, und die einzige Mäßigung der Konditionen. die Erzberger erreichte, war, dass die Alliierten „die Versorgung Deutschlands während des Waffenstillstands in Erwägung zögen, sollte diese als erforderlich eingestuft werden.“ (64) Der Waffenstillstand wurde kurz nach 5.00 Uhr morgens unterzeichnet, mit Wirkung von 11.00 Uhr des gleichen Tages, also in sechs Stunden, und die Sitzung wurde unterbrochen. Alles was die Soldaten auf beiden Seiten des Drahtes nun tun mussten, war noch sechs Stunden in ihren Gräben zu verweilen und das Abschlachten wäre vorbei.

Erzberger bei der Unterzeichnung

Das heißt, für alle mit Ausnahme der AEF, die von Pershing angewiesen wurden, die für diesen Tag geplanten Angriffe ohne Berücksichtigung des Waffenstillstandes um 11:00 Uhr wie geplant fortzusetzen. Da Foch die Bedingungen des Waffenstillstands allen alliierten Kommandanten mitgeteilt hatte – darunter natürlich auch Pershing – war schon im Vorfeld klar, dass aller Boden, der den Deutschen in so einer Last-Minute-Offensive abgerungen werden könne, von den Deutschen ohnehin innerhalb zweier Wochen aufgeben werden musste.

Pershing hatte seine Regiments- und Divisionskommandeure darüber informiert, dass ein Waffenstillstand mit Wirkung 11.00 Uhr in Kraft treten würde, aber befahl seinem Stabschef, dass von 5.00 bis 11.00 Uhr, die AEF „ jeden Vorteil aus der Situation“ ziehen sollte. (65) Neun der sechzehn US Divisionskommandeure an der Westfront interpretierten das Fehlen spezifischer Befehle als Anreiz, die geplanten Angriffe zu starten; sieben verzichteten darauf, um nicht sinnlos ihrer Männer Leib und Leben zu gefährden.

Also griffen neun US-Divisionen den Feind am Morgen des 11. November an und da die Deutschen gezwungen waren, sich zu verteidigen, ob sie wollten oder nicht, wurden fast 11.000 Opfer der Gesamtheit der Kriegsverluste unnötig hinzugefügt. Mit mehr als 2700 Toten am Ende dieser wenigen Stunden übertraf dieser letzte halbe Tag die durchschnittliche tägliche Verlustrate von 2.000 Toten bei weitem.

Betrachtet man diese Verluste in der richtigen Perspektive, so wurden während der  D-Day-Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944, fast 26 Jahre später, Gesamtverluste um die 10.000 (für alle Seiten) berichtet. Also waren die Gesamtverluste des (halben) Waffenstillstandstags fast 10 Prozent höher als die am D-Day. Es gab jedoch einen großen Unterschied. Die Männer, die die Strände der Normandie erstürmten, kämpften um den Sieg. Die Männer des Waffenstillstandstags starben in einem Krieg, der bereits entschieden war. (66)

Um 11:00 Uhr am 11. November 1918 beendeten die Kanonen das Feuer entlang der Westfront. Aber es war erst in der Zeit nach dem großen Konflikt, dass die Mitglieder der alten Kaiserhäuser realisierten, für wie lange schon – in Wahrheit –  sich ihre Relevanz und Autorität vermindert hatte, ohne dass sie es bemerkten. Denn es hatte sich herausgestellt, dass die Macht der Hohenzollern, Habsburg und Romanov-Dynastien nicht erst im Februar 1917 oder November 1918 beendet war, sondern in Wirklichkeit bereits im Sommer 1914 oder sogar noch früher – in ihrem Betreiben, den alten Kontinent in unnötigen Krieg und Pestilenz zu treiben, hatten sie, ach, die Schatten des Nationalismus und Sozialismus übersehen, die sich in ihrem Rückspiegel zusammenbrauten – eifrig darauf aus, das imperiale Erbe zu übernehmen.


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[42] [43] [44] [45] Massie, Robert K., Castles of Steel, Ballantine Books 2003, ISBN 0-345-40878-0, S. 773, 775, 775, 776

[57] Keegan, John, The First World War, Vintage Books 2000, ISBN 0-375-40052-4361, S. 418-419

[48] [49] [54] [55] [56] [58] [59] [62] [63] [64] [65] [66] Persico, Joseph, 11th Month, 11th Day, 11th Hour, Random House 2004, ISBN 0-375-50825-2, S. 303, 304-5, 315-16, 316, 317, 318, 318, 306, 307-8, 323, 325, 378-9

[46] [47] [50] [51] 52] [53] [60] [61] Read, Anthony, The World on Fire, Norton Books 2008, ISBN 978-0-393-06124-6, S. 26, 27, 28, 29, 29, 30, 32, 32

(© John Vincent Palatine 2015/19)

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Skagerrak – Das Grab der Schlachtkreuzer

Übersichtskarte

Video [Englisch] mit grafischer Simulation

Video (Doku, Englisch) mit Originalaufnahmen

Die Flottenprogramme des Reichs hatten erst Befremdung und anschließend die Feindschaft der englischen Admiralität nach sich gezogen und die Suche nach der passenden Antwort beschäftigte die britische Politik zwischen 1890 und 1914 konstant, an zweiter Stelle nach der irischen Frage. Großbritanniens Politik des Überlebens war es, nie eine einzelne Macht den Kontinent beherrschen zu lassen; die Kanalhäfen im Besonderen und im weiteren Sinne die Vorherrschaft der Royal Navy auf den Ozeanen durften nicht gefährdet werden. Daher war es Britannia gewohnt, immer den jeweils mächtigsten Kräften des Kontinent entgegenzutreten und Sache mit den kleineren Nationen zu machen –  „Underdogs“ zu unterstützen bedeutete auch immer exzellente politische Propaganda.

Großbritannien war eine Seemacht und die strategische Sicht ihrer Admiralität in Hinsicht auf mögliche Konflikte mit europäischen Landmächten hing von der Entwicklung des Seekriegs während der Belle Époque ab. Seit Nelsons Sieg über die Französischen und Spanischen Flotten bei Trafalgar im Jahre 1805 hatte die Royal Navy die Meere dominiert. Das British Empire, im Gegensatz zu, sagen wir, Russland, hing in Bezug auf sein wirtschaftliches und politisches Überleben von der Aufrechterhaltung der Überseeverbindungen ab: Macht über die Ozeane sorgte für billigen Transport, schützte die Handels- und Kommunikationsverbindungen und garantierte die Verteidigungsfähigkeit sowohl der Kolonien als auch der heimischen Gewässer. Dies waren die klassischen Aufgaben der Schiffe unter dem White Ensign.

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts überzeugte eine Clique von Nationalisten, Geschichtsprofessoren und verschiedenen anderen Wahnsinnigen Kaiser Wilhelm II die „Hochseeflotte“ zu bauen, eine gigantische deutsche Armada zur See, die sich mit der Macht der Royal Navy vergleichen konnte, ja, sie zu übertreffen suchte. Da einfach kein sinnvoller strategischer Grund für das exzentrische Unternehmen existierte, konnte Großbritannien dies nicht anders als eine maritime Herausforderung interpretieren, als Beweis für feindliche Absichten. Diese war nur allzu real, wenn man des Kaisers Wilhelm Hass für seine englische Mutter, Kaiserin Victoria, bedenkt.

Das Gleichgewicht der globalen Schlachtflotten oder „Schiffe der Linie“, wie sie genannt wurden, war im Jahre 1906 von der Royal Navy durch die Präsentation des neuen Schlachtschiffs Dreadnought“ komplett auf den Kopf gestellt worden. Ihr Design machte sofort alle bisherigen Schlachtschiffe zu Alteisen. Ihre Erbauer hatten das Durcheinander aus kleinen, mittleren und großkalibrigen Geschützen, welche traditionell von Großkampfschiffen getragen worden waren,  abgeschafft, zugunsten eines einzigen Kalibers von Artillerie, und zwar des größten verfügbaren. „Dreadnoughts“ Armierung bestand aus zehn 12-Zoll [305 mm, ¶] Geschützen, in fünf Doppeltürmen.

HMS Dreadnought, 1906

Die Bedeutung des Kalibers, der Durchmesser der Bohrung des Geschützes, liegt darin, dass – bei gleichen Treibmitteln – der effektive Aktionsradius der Artillerie in erster Ordnung von seinem Kaliber abhängt; je größer das Kaliber – wenn alle anderen Dinge gleich sind – um so weiter fliegt das Projektil und damit wird der Radius größer, in dem das Schiff sein Feuer zur Wirkung bringen kann. Mit anderen Worten, die Geschosse eines 12-Zoll-Geschützes fliegen weiter als die einer 10-Zoll-Kanone, und das Schiff mit den größeren Waffen kann seine Gegner aus sicherer Entfernung versenken, ohne Gegenfeuer ausgesetzt zu sein.

Die zweite Besonderheit des revolutionären Designs der „Dreadnought“  war die Dicke und die Verteilung ihres Panzers: durch den Verzicht darauf,  unwesentliche Systeme des Schiffs zu panzern konnten die Konstrukteure in den wesentlichen Bereichen bis zu elf Zoll dicke Platten verwenden, eine Anordnung, die als „alles-oder-nichts“ Panzerung bekannt wurde. Die Nachteile dieser massiven Metallverkleidungen und der kolossalen Geschütze waren natürlich ihr enormes Gewicht und die daraus resultierende Verminderung der Geschwindigkeit.
Für moderne Großkampfschiffe waren die Dreadnoughts ziemlich langsam, ihre Höchstgeschwindigkeit lag so um die Zwanzig-Knoten-Marke. Das ganze Konzept der Dreadnought-Klasse machte sie äußerst fit für Artillerieduelle gegen andere Linienschiffe; ihre niedrige Geschwindigkeit verbannte sie jedoch von Einsätzen in der anderen Hälfte des Seekriegs, dem Kreuzer-Krieg.

Der Begriff „Kreuzer“ wurde im 18. Jahrhundert geprägt und bezeichnete ursprünglich ein Kriegsschiff, das selbständig als Handelsstörer im Einsatz war. Nach Verbesserungen in Dampfmaschinenbau und der Waffentechnik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen Kreuzer gepanzert zu werden: wenn das Schiff  ein gepanzertes Deck hatte, aber keine Seitenpanzerung, wurde es „geschützter“ Kreuzer genannt, wenn es beides hatte, „gepanzerten“ Kreuzer. Die Bedeutung des Kreuzerkriegs liegt, natürlich, in der Behinderung des Handels und Nachschub des Gegners; der Kreuzer bevorzugte Beute waren dicke Frachter, Kohlenschiffe oder Tanker. Doch die unverzichtbare Notwendigkeit nach der notwendigen Geschwindigkeit einerseits die Beute zu jagen aber andererseits überlegenen Schiffen zu entkommen, begrenzte das Gewicht des Panzers und die Größe der Geschütze im Kreuzer-Design.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts konzipierten Ingenieure der Royal Navy einen Kompromiss des Kreuzerdesigns, der à la longue “Schlachtkreuzer” genannt wurde. Ein Schlachtkreuzer, so die Idee, würde die Waffen eines Dreadnoughts, wenn auch aus Gewichtsgründen eine geringere Anzahl von ihnen, mit so viel Panzerung wie möglich kombinieren, um dennoch hohe Geschwindigkeiten beibehalten zu können. Der erste britische Schlachtkreuzer wurde 1907, nur ein Jahr nach der Dreadnought, in Auftrag gegeben, und, ganz bescheiden, “Invincible” getauft.

HMS Invincible

Menschliches Genie hat oft versucht, die Vorteile zweier Typen von Waffen zu kombinieren, während gleichzeitig ihre Nachteile zu vermeiden. Die Konstruktion von Schlachtkreuzern war ein solches genial geplantes Unternehmen. Robert Massie erzählt uns die Geschichte in “Dreadnought” (Ballantine Books 1992, ISBN 978-0-345-37556-8, S. 491 ff.):

Frankreich – immer noch der potenzielle Widersacher vor1890  – hatte bei der britischen Admiralität durch den Bau einer Reihe großer Kreuzer, die in der Lage waren, 21 Knoten zu laufen, Bedenken hervorgerufen. Diese Schiffe waren Ausdruck der Idee einer Schule französischer Admiräle, die daran verzweifelten, dass Frankreich nie in der Lage wäre, mit Großbritannien Schiff für Schiff gleichzuziehen, und es daher der beste Weg wäre, um den maritimen Koloss zu Fall zu bringen, eine Flotte schneller, tödlicher Kreuzer und Torpedo-Boote zu entfesseln, die Großbritanniens gefährdeten Überseehandel angreifen und lahmlegen könnten. Britische Admirale reagierten zunächst damit, Anti-Kreuzer-Kreuzer in Auftrag zu geben; Schiffe, die noch schneller, stärker und genug bewaffnet wären, um alles zu jagen und versenken, was die Franzosen aussenden könnten.

Diese Schiffe, nun entworfen um zu kämpfen, nicht mehr nur einfach zu beschatten und Bericht zu erstatten, wurden gepanzert und Panzerkreuzer genannt. Klasse nach Klasse wurde gebaut und in den Seedienst geschickt….. Insgesamt gab es fünfunddreißig solche britische Panzerkreuzer, einige von ihnen so groß, oder größer noch, als die Schlachtschiffe der Royal Sovereign- oder Majestic-Klasse. Doch egal wie groß sie haben oder wie beeindruckend sie aussahen, sie waren nie dazu bestimmt gegen Schlachtschiffe zu kämpfen. …

Das war auch Fishers Verständnis und Plan, zumindest am Anfang.  Admiral Fisher war der Vorsitzende des Design-Komitees der Royal Navy, das die Entwürfe der „Dreadnought“ und anderer Schiffe erstellte. Seine ersten Schlachtkreuzer-Entwürfe sollten die ultimativen Panzerkreuzer werden, so schnell und stark bewaffnet, dass sie alle anderen Kreuzer der Welt überholen und zerstören konnten. … Fisher schrieb im März 1902 an Lord Selbourne, * den First Sea Lord, dass er mit Gard, dem Chefkonstrukteur der Werft von Malta, an einem Entwurf für einen Panzerkreuzer arbeite, der alle bisher vorhandenen Panzerkreuzer obsolet machen würde. [Massie meint hier William Palmer, 2nd Earl of Selbourne]

Fisher nannte sein hypothetisches Schiff „HMS Perfection“, und an der Spitze der Liste ihrer Gestaltungsmerkmale schrieb er „Geschwindigkeit bei voller Kraft von 25 Knoten“, aber des Sea Lords Antwort war nicht alles, was Fisher sich erhofft hatte. Gebaut wurden die „Warrior“– und „Minotaur“-Klassen; große Schiffen mit 9,2-Zoll – Kanonen und einer Geschwindigkeit von 23 Knoten, zwei Knoten weniger als was Fisher für „Perfection“ gefordert hatte.

Inzwischen begannen andere Admiralitäten ebenfalls zu experimentieren. Gegen Ende des Jahres 1904 erreichte die Nachricht London, dass Japan zwei große, 21-Knoten schnelle Panzerkreuzer mit jeweils vier 12-Zoll – Geschützen und zwölf 6-Zoll-Kanonen auf Kiel gelegt hatte. In Italien waren vier von Cuniberti konstruierte Schiffe im Bau, die über zwei 12-Zoll und zwölf 8-Zoll–Geschütze verfügten und ebenfalls 21 Knoten liefen. Ausländer näherten sich dem Konzept der „Perfection“ an.

Im Februar 1905, nachdem Fishers Design-Komitee die Pläne für die „Dreadnought“ abgeschlossen hatte, erschien „Perfection“ auf dem Papier. Jetzt musste Fisher seine Projekte der Admiralität nicht mehr aufdrängen; er selbst war jetzt die Admiralität. [Er war im Jahre 1904 Erste Seelord geworden, ¶] Und in der Fisher-Ära, was er sofort klar machte, würde die britischer Handelsschifffahrt nicht nur durch ein paar auf der ganzen Welt verstreute Panzerkreuzer beschützt werden, sondern durch einige enorm schnelle, leistungsfähige Schiffe, die jeden feindlichen Kreuzer jagen und zerstören konnten, wohin immer er geflohen wäre – wenn nötig, „bis ans Ende der Welt.“

In der Zwischenzeit hatte die präsumptive Bedrohung ihre Nationalität gewechselt; es waren nicht mehr französische Kreuzer, die die Admiralität besorgten, sondern deutsche Ozeandampfer; die großen, schnellen, hochseetüchtigen Windhunde des Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie, die dafür konstruiert waren, 6-Zoll-Kanonen zu tragen. Entwickelt um Passagiere in fünf oder sechs Tagen über den Nordatlantik zu befördern, konnten sie alle vorhandenen britischen Kreuzer leicht hinter sich lassen.

Geschwindigkeit war die herausragende Anforderung; Geschwindigkeit genug um den Feind zu überholen und auch für des Schiffes eigene Abwehr zu sorgen: es musste in der Lage sein, sich außerhalb der Reichweite von Schlachtschiffen zu halten. Fisher fixierte die minimale absolute Marge bei vier Knoten Unterschied, und da er die Dreadnought für 21 Knoten baute, musste HMS Perfection in der Lage sein, 25 Knoten zu dampfen. Fisher wollte auch maximale Feuerkraft. Die größten verfügbaren Geschütze waren 12 Zoll, wie bereits geschildert bereits auf neuen Panzerkreuzern und schnellen italienischen und japanischen Schlachtschiffen installiert. Nachdem er schon erfolgreich für die nur mit großkalibrigen Geschützen bewaffneten Schlachtschiffe argumentiert hatte, forderte Fisher nun einen eben solchen Panzerkreuzer.

Wieder einmal gab der treue und einfallsreiche Gard dem Admiral, was er wollte. „Perfektion“, woraus die „Invincible“-Klasse von Schlachtkreuzern werden würde, kam aus dem Zeichenbrett mit acht 12-Zoll-Geschütze in vier Doppeltürmen. Fisher war überglücklich. Mit 25 Knoten Geschwindigkeit und acht 12-Zoll-Kanonen, war hier ein Kriegsschiff, welches stark genug war, jedes Schiff, das es einholen konnte schnell genug zu zerstören, und schnell genug, um jedem Schiff zu entkommen, das es selbst bedrohen könnte. Sie konnte ein ganzes Geschwader feindlicher Kreuzer mit der größten Leichtigkeit „aufwischen“, mit ihrer Geschwindigkeit die richtige Position etablieren und mit ihren weitreichenden Waffen den Feind versenken, ohne sich selbst Gegenfeuer auszusetzen.

Sie hatte nur einen einzigen Fehler: ihre Panzerung war zu leicht. Wie Dornröschen, für die das Leben gefahrlos war, solange sie sich von Spindeln fernhielt, konnten „Invincible“ und ihre Schwestern eine glückliche Existenz führen solange sie sich von Schlachtschiffen fernhielten. Ihre Geschwindigkeit war ein kostbares Gut und um einen hohen Preis erworben.

Die drei wesentlichen Merkmale eines Kriegsschiffes – Geschütze, Geschwindigkeit und Panzerung – sind alle miteinander korreliert. Ein Designer kann nicht alles haben: wenn schwere Geschütze und dicke Panzerung erforderlich sind, leidet die Geschwindigkeit; dies war der Kompromiss, der auf alle Schlachtschiffe zutraf. Wird höhere Geschwindigkeit gefordert und schwere Geschütze beibehalten, muss Panzerung geopfert werden. Dies war der Fall bei der „Invincible“ und ihren Schwestern. Um vier kostbare Knoten Geschwindigkeit zu gewinnen, musste „Invincible“ auf einen Turm und damit zwei der zehn 12-Zoll-Geschütze der Dreadnought verzichten.

Das sparte zweitausend Tonnen, die in die Antriebsmaschinen gesteckt werden konnten. Ein gefährlicheres Opfer wurde in Bezug auf die Panzerung gemacht. Der Panzer der “Dreadnought”, dazu bestimmt durch eine Katastrophe explodierender Granaten zu schwimmen, war mittschiffs mit einem elf Zoll dicken Gürtelpanzer ausgestattet, genug um schwerste Einschläge zu überstehen. Um das Mittelschiff der Invincible herum war der Gürtel nur sieben Zoll dick. Wenn es die Mission des Schlachtkreuzers wäre,  auszukundschaften oder feindliche Kreuzer zu bekämpfen, wären sieben Zoll Panzer ausreichend. Aber würde sie sich absichtlich in die Reichweite feindlicher Schlachtschiffe begeben, wären sieben Zoll nicht genug. … Einige Experten sahen die potenzielle Gefahr durchaus. „Brassey‘s Naval Annual“ schrieb: „… Das Problem bei Schiffen dieser enormen Größe und Kosten ist, dass ein Admiral mit Invincibles in seiner Flotte versucht sein wird, sie in die Schlachtlinie zu beordern, wo ihr vergleichsweise leichter Schutz ein Nachteil sein wird, und ihre hohe Geschwindigkeit bedeutungslos.“ Kurz gesagt, weil sie wie ein Schlachtschiff aussah und eines Schlachtschiffes Kanonen besaß, würde früher oder später von Invincible erwartet werden, auch wie ein Schlachtschiff zu kämpfen.

Da bekanntlich keine gute Tat unbestraft bleibt, imitierten die Deutschen das zwittrige Konzept und bauten ihre eigenen Schlachtkreuzer.

Da die beiden Nationen nun 15 Jahre lang und mit enormen Kosten
in hektischer Geschwindigkeit Großkampfschiffe gebaut hatten, erwartete jeder einen gewaltigen Zusammenstoß der Flotten innerhalb der ersten Monate des Krieges. Aber die ersten zwei Jahre des Konflikts brachten nur kleinere Auseinandersetzungen. Am 28. August 1914 trieb eine Squadron von Schlachtkreuzern unter dem Befehl von Admiral Sir David Beatty eine gemischte deutsche Flottille in der Deutschen Bucht bei Helgoland in die Enge und versenkte drei kleine Kreuzer und ein Torpedoboot. Im Januar 1915 führte eine Begegnung zwischen Beattys Flotte und einigen deutschen Schlachtkreuzern an der Doggerbank zum Verlust der deutschen “Blücher“ und schweren Schäden an der “Seydlitz“, während die britischen “Tiger“ und  “Lion“ geringere Beschädigungen erlitten.

Die Deutschen erzielten einen großen Erfolg im Oktober 1914, als eine einzige Mine das brandneue britische Schlachtschiff „Audacious“ versenkte. Etwas kleinere Erfolge wurden durch U-Boote erreicht. U 9 versenkte die drei alten britischen Kreuzer„ Abukir“, „Hogue‘“ und „Cressy“ an einem einzigen Tag im September 1914, und U 24 sank das ältere Schlachtschiff „Formidable“ am 1. Januar 1915.

Untergang von HMS Audacious

Die weitgehende Flaute in der Nordsee endete, als der deutsche Admiral Reinhard Scheer mit dem Kommando der Hochseeflotte im Januar 1916 betraut wurde. Auf der Suche nach einer Lösung für die numerische Überlegenheit der Royal Navy konzentrierte er sich auf Beattys Schlachtkreuzer-Division, die mittlerweile in Rosyth bei Edinburgh vor Anker lag. Wenn er seine Karten gut spielte, hielt er es für möglich, Beattys Schiffe in eine Falle zu locken und zu zerstören, bevor die Home Fleet aus Scapa Flow auf den Orkneyinseln zu ihrer Rettung kommen könne. Scheers Plan berücksichtigte natürlich, dass die Grand Fleet etwa 40 % größer war als die Hochseeflotte, aber die Anzahl ihrer Aufgaben musste sie auch zum Teil über die Ozeane verstreuen. Wenn er für eine Zeitlang überlegene Kräfte gegen einen kleineren Teil der Grand Fleet vereinigen könne, könnte er das numerische Defizit zeitweise ausgleichen und der Sieg möge in Reichweite liegen.

Eine taktische Variable in seinem Plan war sowohl ihm als auch seinen Gegnern auf der britischen Seite unbekannt: die Unsicherheit, wie es den Schlachtkreuzern ergehen würde, wenn sie tatsächlich mit Schlachtschiffen konfrontiert wurden. In Bezug auf eine andere taktische Variable musste er auf sein Glück vertrauen, und zwar darauf, wie früh oder spät der britischen Marine-Geheimdienst sein Auslaufen entdecken würde. Im Mai 1916 konsolidierte er seine Gedanken in dem Plan, Beattys Geschwader, bestehend aus sechs Schlachtkreuzern und vier Schlachtschiffen, nach Süden zu locken, indem er Beatty einen Köder aus ein paar deutschen Schlachtkreuzern offerierte. Da diese Schiffe für die britische Dreadnoughts in Scapa Flow zu schnell waren, hatte nur Beattys Flottille eine Chance, sie zu fangen. Sobald Beatty über die deutsche Vorhut informiert wäre und sich aufmachte sie abzufangen, würden die deutschen Schlachtkreuzern Kurs nach Süden nehmen und Beattys Verband direkt in die Kanonen der deutschen Schlachtflotte führen.

In unserem Fall  bestand Scheers Vorhut aus fünf deutschen Schlachtkreuzern unter dem Kommando von Franz von Hipper sowie verschiedenen Begleitschiffen, die am Morgen des 31. Mai 1916 entlang der Westküste von Dänemark nach Norden fuhren. Scheer folgte etwa 50 Meilen weiter südlich, aber er hatte kein Glück. Der Britische Nachrichtendienst hatte Scheers Pläne für eine große Operation bereits ab Mitte Mai aufgefangen, die deutschen Funkübertragungen entschlüsselt und Admiral John Jellicoe, den Kommandeur der Grand Fleet, informiert. Scheer hatte kaum Helgoland passiert, als Beattys Schlachtkreuzer schon auf dem Weg nach Süden geschickt wurden, gefolgt, in einer Entfernung von etwa 70 Meilen, von den Schlachtschiffen aus Scapa Flow. Die Briten hatten die Rolle von Hund und Hase umgekehrt.

In Bezug auf Tonnage und Waffenkraft wurde das bevorstehende Ereignis das größte der Seekriegsgeschichte. Die Hochseeflotte hatte sechzehn Dreadnoughts mobilisiert, sechs ältere Schlachtschiffe, fünf Schlachtkreuzer, elf leichte Kreuzer und einundsechzig Zerstörer (99 Kampfschiffe). Jellicoes vereinigte Flotte umfasste achtundzwanzig Dreadnoughts, neun Schlachtkreuzer, acht gepanzerte Kreuzer, sechsundzwanzig leichte Kreuzer, achtundsiebzig Zerstörer, einen Wasserflugzeugträger und einen Minensucher (151 Kampfschiffe).

Treffen der Vorhut

Der erste Kontakt erfolgte um gegen 14 Uhr, als beide Zerstörerschirme das gleiche neutrale Handelsschiff untersuchen wollten und so ineinander liefen. Ihre Radios alarmierten die Schlachtkreuzerflotten von Hipper und Beatty, die nun auf Kollisionskurs drehten. Beattys fünf Schlachtkreuzer, die vor den Schlachtschiffen fuhren, sichteten Hippers Flottille um etwa 16.00 Uhr und eröffneten das Feuer. Im Duell der Schlachtkreuzer wurden die Mängel des Konzepts unbarmherzig aufgedeckt. Beatty eigenes Flaggschiff, die “Lion”, wurde schwer durch Treffer von der “Lützow“, Hippers Flaggschiff, beschädigt, aber die Dinge kamen noch schlimmer:

Indefatigable“ – im Duell mit der deutschen „Von der Tann“, erlitt eine innere Explosion, die sie buchstäblich auseinander riss; nur wenige Minuten später explodierte „Queen Mary“ und sank, nach einer Salve von  „Derfflinger“. Nur acht Männer überlebten. Deutsche Schiffe zeigten viel weniger Anfälligkeit für die Auswirkungen britischer Granaten – ob es sich dabei um das Resultat besserer Panzerung oder ein Problem mit den englischen Zündern wird immer noch diskutiert.

Haupttreffen
Die "Queen Mary" explodiert in der Schlacht am Skagerrak
Die “Queen Mary” explodiert in der Schlacht am Skagerrak

Nachträgliche Untersuchungen ergaben, dass deutsche Granaten die schwache Panzerung um die Treibmittellagerräume durchbrochen hatten, wo die instabilen Ladungen offen aufbewahrt wurden, um sie schnell an die Geschütztürme weiterleiten zu können. Die Explosion der Granaten verursachte anschließend die Detonation des Hauptmagazins. Beattys erste Linie war so schnell reduziert, aber die Begeisterung an Bord von Hippers Schiffen war von kurzer Dauer. Als die vier britischen Schlachtschiffe aus den Wolken von Rauch und Regenschauern auftauchten entstanden, war es Hippers Zeit umzukehren, mit Beatty in der Verfolgung.

HMS Indefatigable

Eine halbe Stunde später konnte die britische Vorhut ihrerseits Scheers Schlachtschiffe am Horizont auftauchen sehen – wie erwartet – und jetzt war es an ihnen, wiederum nach Norden umzukehren, um Scheer in Richtung des Hinterhalts von Jellicoes Grand Fleet, die schnell aufgeschlossen hatte, zu führen. Der Schlagabtausch setzte sich durch all diese unterhaltsamen Verfolgungsjagden fort und begünstigte nun die Briten, die jetzt das Feuer der neuen 15-Zoll-Kanonen ihrer Schlachtschiffe zur Geltung bringen konnten. Mehrere Treffer beschädigten „Seydlitz“ erneut schwer – nach ihrer unglücklichen Erfahrung bei der Doggerbank – und erwies zumindest, dass deutsche Schlachtkreuzer gegenüber gut gezielten Schüssen genauso anfällig waren wie die britischen. Die Probleme der„Seydlitz“ ‘ verursachten Unordnung in Scheers Schlachtlinie in genau in dem Moment, als während einer verworrenen Situation, eine deutsche Salve „Invincible“ fand. Sie explodierte und ihre Bruchteile verbanden sich mit denen ihrer jüngeren Schwestern im feuchten Grab der Nordsee. Das war jedoch der letzte Glücksfall für Scheer, der sich mit einem zunehmenden Vorhang aus 15-Zoll Granaten konfrontiert sah. Um etwa sechs Uhr abends, überlegenen Kräften gegenüber, entschied er sich, das Spiel zu beenden.

HMS Warspite and Malaysia in action

So hätte eine bereits unbefriedigende Begegnung – von der britischen Sicht aus –  ergebnislos enden können, Scheer jedoch entschied sich dann umzudrehen, vielleicht um dem beschädigten Leichten Kreuzer „Wiesbaden“, der zurückgelassen worden war, zu Hilfe zu kommen, vielleicht, weil er dachte, dass er achteraus Jellicoes Flotte passieren könne, die ihren Vormarsch in Richtung Helgolands fortsetzte, um so durch den Skagerrak in die Ostsee zu flüchten. Jellicoe jedoch verminderte seine Geschwindigkeit wieder, mit dem Ergebnis, dass die deutschen Dreadnoughts – in Richtung Nordosten fahrend – den britischen Schiffen auf südöstlichem Kurs begegneten – und die Briten ihre Rückseite passieren konnten, um sie von Flucht und Sicherheit abzuschneiden.

Darüber hinaus waren – im Treffmoment der Begegnung – die Briten in Linie nebeneinander, die Deutschen aber in Linie voraus, eine relative Position, die als das “Crossing the T” bekannt ist und stark die britische Flotte begünstigte. Alle ihre Breitseiten konnten gegen das jeweils erste Schiff in der deutschen Linie gleichzeitig eingesetzt werden, das damit auch ein leichtes Ziel darstellte. In zehn Minuten Kreuzfeuer erhielten die Deutschen siebenundzwanzig Treffer großkalibriger Granaten, die Briten nur zwei. Dies überzeugte Scheer wieder in den dunklen östlichen Horizont hineinzudrehen und seine Schlachtkreuzer und leichteren Schiffe als Deckung seines Rückzug in einer „Todesfahrt“ zurückzulassen.

Die Bedrohung durch Torpedos, die Scheer dadurch schuf, veranlasste Jellicoe ebenfalls abzudrehen – wofür er später Vorwürfe erhielt – und bis er wieder zurückdrehte, hatte Scheer 10 Meilen zwischen seine Dreadnoughts und die Verfolger gebracht. Viele deutsche Schiffe blieben zurück, um  Scheer Flucht zu decken, einschließlich seiner Staffel von gefährdeten, alten Pre-Dreadnoughts, die in einer Reihe von Dämmerungs- und Nachtaktionen Verluste erlitten. So geschah es auch den britischen Kreuzer und Zerstörer, die Kontakt hielten. Am Morgen des 1. Juni, als Scheer seine Flotte Zuhause hatte, hatte er einen Schlachtkreuzer verloren, ein Pre-Dreadnought, vier leichte Kreuzer und fünf Zerstörer. Jellicoe – der das Kommando über die Nordsee allerdings behielt – hatte drei Schlachtkreuzer verloren, vier Panzerkreuzer und acht Zerstörer; 6094 britische Seeleute waren gestorben, 2551 Deutsche.

Schäden an SMS Seydlitz

Soweit es taktische Fragen anging, war die „Battle of Jutland“, wie die Royal Navy sie nennt, oder „Skagerrakschlacht“, wie sie in Deutschland heißt, ein großer Erfolg für die junge Hochseeflotte: deutsche Panzerung und Munition hatten sich britischer Rüstung als überlegen erwiesen. Strategisch jedoch blieb die Kontrolle über die Nordsee und damit die Zugänge zum Atlantik bei Großbritannien; für den Rest des Krieges blieb die deutsche Flotte vor Anker und war keine Bedrohung für das Empire mehr. Die internationale Presse beschrieb die Begegnung in Jütland als „Angriff auf den Wärter mit anschließender Rückkehr ins Gefängnis.“ Das folgende friedliche Dahinrosten der deutschen Flotte im Hafen wurde erst wieder im Jahre 1919 gestört, als eine Klausel des Waffenstillstandes die Internierung der Flotte in Scapa Flow anordnete. Die Crews segelten die Schiffe wie gefordert zu den Orkneyinseln, aber versenkten sie bald selbst nach ihrer Ankunft.

Doch für die Idee “Schlachtkreuzer” war es der erste, einzige und gleichzeitig letzte Auftritt – sie verschwanden aus den Flottenregistern der Welt so schnell wie sie erschienen waren.


Der offizielle Bericht von Admiral Scheer an den Kaiser (PDF)


(© John Vincent Palatine 2015/19)

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