Lenin bei einer vorrevolutionären Rede auf dem Sverdlov-Platz in Moskau – Leon Trotzki (rechts in Uniform), der Held der nachfolgenden Revolution und Lew Kamenew, hinter ihm, wurden später zu Unpersonen erklärt und bis 1991 aus allen Versionen dieses Fotos wegretuschiert …

“Die Revolutionäre von heute sind die Konservativen von morgen.” © Gerald Dunkl (*1959), österreichischer Psychologe und Aphoristiker

Artikel mit Beispielen von "Unpersonen"
Artikel mit bekannten Beispielen von “Unpersonen”
Metamorphose einer Fotografie

“Mit allen Fasern revoluzzerte der Mensch M. in der Bewegung mit. Erst als er die neuen Fesseln verspürte, atmete er erleichtert auf.” © Martin Gerhard Reisenberg (*1949), Diplom-Bibliothekar und Autor

Französische Revolution
Die Ikone der modernen Revolution – die Französische Revolution von 1789 – endete in den Napoleonischen Kriegen

Politik – und daher auch die Geschichte – bedient sich notwendigerweise eines Bereichs sorgfältig gehegter und gepflegter, aber unangenehm ungenauer Schlagworte und Definitionen – nicht zuletzt deshalb, weil es sich viel zu häufig als notwendig erweist, sich von gestrigen Verpflichtungen, Verlautbarungen oder Bestimmungen zu distanzieren, die morgen – oder schon in der nächsten Minute – einer Korrektur oder Neuinterpretation bedürfen.

Schon über den wohlfeilen Begriff „Freiheit“ kann man – und sind – ebenso wohlfeile, lange Bücher geschrieben worden. Hier wollen wir kurz eine andere Begrifflichkeit ansprechen.

„Konservativ“ oder „Konservatismus“ ist einer der beliebtesten Schlagworte im politischen Vernakular – aber sehen wir uns doch die Etymologie, den inhärenten Relativismus und die tatsächlich rotative Konnotation des Begriffs etwas genauer an als die oberflächliche Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch.

Die Deutsche Revolution 1848-49
Die Deutsche Revolution 1848-49

Es leitet sich natürlich aus dem lateinischen “conservare” bzw. „preservare“ ab. “Servare” ist das Stammwort für “Servus”, den Diener, und bedeutet im Wesentlichen “dienen” oder “verwenden” auf transitive Weise – etwas, das wie im englischen Wort “serviceable” verwendet werden soll oder zu etwas dient. Das Präfix “con” hat die Grundbedeutung von “zusammen” (“zusammen mit”, genauer), und wir könnten es in diesem Kontext im Wesentlichen als “etwas, das (gut) dient” übersetzen, eine Idee, die sich schnell zur Vorstellung von etwas entwickelt hat, das gut dient und deshalb behalten werden sollte.

Dies ist die oberflächlichere Art und Weise, wie es allgemein verwendet wird, um auf politischer Ebene eine bestehende Struktur zu bezeichnen, die aufgrund ihrer Verdienste beibehalten werden sollte.

Dies ist natürlich das klassische Argument des Besitzers – nicht des Aspirators – und hier sehen wir, dass es tatsächlich eine grundsätzlich rotative Konnotation impliziert.

Denn der Revolutionär jeder Art – sobald er oder sie das Ziel erreicht hat – muss sich sofort der Bewahrung der neuen Errungenschaft verschreiben und selbst zu einem “Conservator” werden.

So werden Revolutionäre zu gegebener Zeit immer zu Konservativen – vielleicht erinnern wir uns in diesem Zusammenhang daran, dass der industrielle Konservatismus unserer Zeit einst eine Revolution gegen das Feudalsystem war – die Lehnsherrschaft.

Darin liegt auch der Grund für das alte Sprichwort, dass alle Revolutionen ihre eigenen Kinder verschlingen – siehe Trotzki, Danton, Robespierre und all die anderen. Über die moderne, umgekehrte Instrumentalisierung des Terrors durch selbst ernannte “Konservative”schrieb F. Fürstenberg schon 2007 in der New York Times unter “Bush’s Dangerous Liaisons” (PDF hier), im Zusammenhang mit der Französischen Revolution – auch zur Etymologie des Wortes “Terrorist”:

… The word was an invention of the French Revolution, and it referred not to those who hate freedom, nor to non-state actors, nor, of course, to ‘Islamofascism’. A ‘terroriste’ was, in its original meaning, a Jacobin leader who ruled France during La Terreur.

Die Französische Revolution bleibt das klassische Beispiel für Revolutionen, die sich ihrer eigenen Gründer und Hauptbeteiligten entledigten. Die Herrschaft des Terrors begann, nach einer Übergangsphase, mit der Hinrichtung des Adels und des Königs. Dann erweiterte sich der Kreis gegen Tausende von Verdächtigen, die der Feindschaft gegenüber der Revolution verdächtig waren. Die Jahre der Monarchie endeten schließlich mit der Hinrichtung des Königs und der säkularen Französischen Republik.

Die exekutive Gewalt wurde einem Ausschuss für Öffentliche Sicherheit übertragen, und Maximilien Robespierre, der Anführer der Jakobiner, als Leiter eingesetzt. In einer Zeitspanne von nicht mehr als sieben Wochen schaffte es das löbliche Gremium, rund 1300 Menschen auf die Guillotine zu schicken. Man muss allerdings zugeben dass, in poetischer Gerechtigkeit, auch Robespierre und sein Intimfeind Danton ihre Köpfe dort verloren.

Die Niederschlagung 1849
Die Niederschlagung 1849

Hinrichtung war natürlich das probate Mittel, die physische Existenz der Widersachers zu negieren, aber die Nemesis der Erinnerung bleibt. Schon die alten Römer kannten die „Abolitio nominis“ – die „Abschaffung des Namens“ heute meist als „Damnatio memoriae“ bezeichnet – die demonstrative Tilgung des Andenkens an eine Person.

Interessanterweise kennen wir praktisch die Namen aller Personen, die dieser Damnatio verfielen – was auf die Untauglichkeit der Praxis hinweist. Ebenso erging es der UdSSR und ergeht es ihren Nachahmern … aber das Grundproblem bleibt – der radikale Interessenwandel des Revolutionärs zum Erhalter des Status Quo … der, eher volens als nolens, nun die Gegner dieses Status “terrorisiert” …


Revolution: in der Politik ist dies ein plötzlicher Wechsel in der Form der Mißregierung.” Ambrose Gwinnett Bierce (1842 – 1914), genannt Bitter Pierce, US-amerikanischer Journalist und Satiriker; Quelle: Bierce, Des Teufels Wörterbuch (The Cynic’s Word Book), 1906 (1909 als »Devil’s Dictionary« in ›Collected Works‹, Vol. 7)

(© John Vincent Palatine 2019)

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